Flanieren in Frankfurt

Passt zum Wetter und zum Ruhigbleiben beim Posten gleichermassen: Bo Hansson – Lord of the Rings (1972)…
 
 
Der 8. März ist bekannt als Weltfrauentag. Die Diva feiert ihren 115. Geburtstag und bringt aus der Hamburger Vorstadt keine Torte mit.
Frankfurt, du kleinste Weltstadt mit dem grössten Herzen. Viel kommt zusammen hier wenn man einen Tag und die Muse hat zum Flanieren auf deinen Strassen und Plätzen. Du bist Wohnung für mehr Nationalitäten als in jeder anderen deutschen Stadt. In die Wahrnehmung mischen sich Erinnerungen zu einem farbenprächtigen Potpuree. Schillerndes Mosaik und Gefühlsgezeiten. In der Leipziger Strasse in Bockenheim erwacht das Leben. Internationales Flair in kleinstädtischem Ambiente. Die Einkaufliste vom Schwarzen Berg abzuarbeiten fällt leicht in den vielen kleinen Geschäften mit dem abwechslungsreichen Angebot. Nebenan die UniBibliothek zur Horizonterweiterung.
Von dort rüber ins Ostend. Das alte bürgerlich-jüdische Quartier südlich vom Zoo. An der Silhouette der himmelsteilwärts drohende Geldzahn der neuen EZB. Dafür haben sie dir die grandiose Grossmarkthalle weggerissen. Dort, wo man früher im Morgengrauen für kleines Geld eine Stereoanlage aus dem Kofferraum kaufen konnte. Die nachts geknackten Container im Osthafen störte das nicht. Hier wurde die koschere Rindswurst erfunden.
Die sieben frischen Kräuter für die begehrtgesunde „Grie Soss“ gibts in deiner Kleinmarkthalle in der City. Vor der Rückreise feinstgewiegt und tiefgefroren helfen sie mir auf dem Schwarzen Berg gegen meine Sehnsucht nach dir du Hosenträgerstadt. Je weiter ich mich von dir entferne umso stärker ziehst du mich an. Über deine Zeil schiebt sich schon um Mittag die Herdenmasse. Einkaufstüten baumeln zackig. Balkanmusikbelästigung vor jedem zweiten Überflüssigladen. An der Konsti verkündet der Ammiprediger die Erlösung durch die Bibel. Der fussamputierte Penner im Elektrorolli krakeelt. Die erste Stufe schräg angefahren schafft das Gefährt noch, die nächsten drei gehts im Sturzflug. Besinnungslos. Die Sanitäter helfen rasch und routiniert. Er kommt zu sich, reisst die lebensrettende Kanüle raus und geifert den Helfern seine bösen Flüche vor die Füsse. Hier steht das Publikum und guggt, unbeeindruckt vom Gebabbel des Sabbelpredigers daneben. Zwanzig Minuten später bleibt nur ein Blutfleck zurück.
Du schnelle Stadt. Schnelles Leben schnelles Geld. Von fast jeder Stelle aus kann ich deine faszinierende Skyline sehen, die einzige in diesem Land, die den Namen verdient. Banken und Versicherungen. Jetzt haben ihre Insassen Mittagsfreigang in der City. Fastfoodfresser mit lässigarroganten Sprüchen fetzenweise im Vorbeigehn aufgeschnappt. Zum Kotzen wie der Frass in ihren dürren Klammerfingern. Leid tut mir nicht der Penner, leid tun mir nicht die Schicksen im Hosenanzug. An der Farbe der Stoffe erkennt man die Institutszugehörigkeit. Uniformiertes Wachstumsdenken. Ohne Arsch in der Hose und mit vierzig ausgelaugt und  ausgesondert. Abgelegt. Flachgelegt zwischendurch. Ärzte raten den Eltern, kleine Kinder auf den Rücken zu legen. Aufs Kreuz werden sie später ohnehin gelegt. Spitze Ellenbogen. Vor denen warnte mich meine Urgrossmutter. „Wennde der mal e Mädsche suchst, gugg, dass se kaa spitze Ellebooche hat. Die tauge alle nix“. Die grundlegenden Weisheiten kommen oft sehr schlicht daher.
Pass bloss auf, du gute Stadt, dass dieses Aufblaspack nicht über dich kommt wie der 22. März 1944. Im grössten erhaltenen mittelalterlichen Stadtkern Deutschlands brannten an einem einzigen Tag über tausend Fachwerkhäuser nieder, nur das Haus Wertheym überstand den Feuersturm. Aber ich weiss, dass du auch dies Gelichter überstehen wirst, du alte freie Kaiserstadt. Links in der Brönnerstrasse der ehemalige Sinkkasten. Dort bliess uns Rory Gallagher mit seiner abgescheuerten Stratocaster und dem kleinen Vox AC30 die Ohren weg vor Jahrzehnten und wir Vorstadtbuben versanken offenmundig in Bewunderung. Auch Peter Hammills Geburtstagsauftritt am 5.11.1982 dort bleibt unvergessen. Jetzt heisst der Laden wieder Zoom und weckt noch ganz andere Erinnerungen. Vorbei. Vorbei am Römerberg und rüber über den Eisernen Steg nach Sachsenhausen. Kaum ein Frankfurter Tatort kommt aus ohne den Eisernen Steg.
Auf „der falschen Seite“ des Mains gibts noch ein Antiquariat, das seinen Namen verdient. Die reinste Verführung zwischen zwei Buchdeckeln. Drüben in Bockenheim rund um die alte Universität sind fast alle Bouquinisten verschwunden. Es ist Nachmittag inzwischen, der innere Ruf nach einem Äppler lässt sich nicht mehr übermerken. Wegweiser gibt es hier im Strassenpflaster. Bedauerlicherweise wird bei „Zu den drei Steubern“ erst morgen „widder gezappt“. So verkündet es der Aufkleber am Rolladen.
Aber du bist eine freundliche Stadt, du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde und schenkest mir voll ein. So sprach zu mir schon mein Konfirmationspfarrer, den sie wegen seiner Auffassung von Religiosität strafversetzten aus Lummerland in die Nordweststadt. Mein GOtt das ist schon so lange her. 
Die elektronische Fingerwischhandfessel gibt Laut. König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte meldet sich spontan. Wir treffen uns an deinem Nabel und lassen  diesen überaus gelungenen Tag „Im blauen Bock“ in Bornheim ausklingen. Wäre ich Unruheständler würde ich als Gästeführer, du einmalige Stadt, mein Lied singen auf dich Bewundernswerte und gegen die landläufig irrigen Vorstellungen von dir.
 
    (Bildermix aus dem Herzen. Mit Kamera und Fingerwischhandfessel wies gerade kam)

 

Allen Besuchern, Guggern und Lesern wünsche ich ein gediegenes Wochenende. Dass die Links in verschiedenen Farben daherkommen liegt an Blogger, nicht am Blogger…

27 Gedanken zu „Flanieren in Frankfurt

  1. Herr Ärmel! Sie lassen mich mit Ihren Worten eine Stadt begehren, die ich nur dreimal beflugsreiste, und die mich nicht besonders freundlich aufnahm. Ich leseleselese Ihre Worte und willwillwill sofort dahin und mich endlich eines Besseren belehren lassen. Ich begegnete bisher wohl zuvielem Aufblaspack. Eine vierte Chance? Nach solch' einem Loblied…ja, gerne! Ich verneige mich frohgemuth und grüße herzlichst mit Gutwochenendwünschen und dankefeine für die Ihrigen.

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  2. Ich entnehme Ihren Worten, dass Sie gewisslich im Umfeld falscher Leute sich bewegt haben. Lufttransportorte sind wahrlich nicht repräsentativ für eine Stadt, allenfalls ein Hinweis können sie sein auf die Beweglichkeit im Allgemeinen.
    Es mag sein, dass Sie über eine passende Erkundungsbegleitung (Bekleidung ist zweitrangig) nachdenken sollten, Ihr Schaden wäre dies keinesfalls für einen neuerlichen Anlauf mit erfreulichem Ausgang.
    Ich sende Ihnen meine besten Grüsse wie stets, Ihr Herr Ärmel

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  3. Oh, tatsächlich mißverständlich formuliert: beflugsreiste. Flugs bereiste ich diese Stadt mit Kurzaufenthalten, aber nicht flugbereist, sondern mit dem Automobil. Aber das falsche Umfeld, das war es wohl wahrlich.
    Über eine Erkundungsbegleitung nachzudenken, hat sich durch das Lesen Ihrer Eloge erübrigt. Wen anderes, als den geschätzten Herrn Ärmel könnte ich jetzt noch an meiner Seite haben wollen bei Chance Numero vier?! Doch ich halte Sie ab. Schnell, sputen Sie sich, Ihre Dinereinladung harrt Ihrer. Ich grüße herzlich, mit Wohlgedanken, Ihre Frau Knobloch.

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  4. Ich bastle noch ein wenig an der Farbe der Links herum. Mein Gleichmässigkeitsempfinden störts empfindlich. Andererseits passts auch zu dieser stolzfeinen Stadt am Main, der allzeit Begehrenswerten mit den Ecken und Schrammen, die Spekulantengesindel hier&da verursach(t)en. Sie können ihrem einnehmendem Charme damit dennoch nicht zu nahe treten.
    Sie wecken meine Hungergelüste, Frau Knobloch. Ich enteile, nicht ohne Ihnen einen allerherzlichsten Gruss zu senden

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  5. Werter Herr Ärmel,
    ein schönes Loblied haben Sie dieser Stadt gesungen, die von so vielen verkannt wird, denn ihren Charakter kann man eigentlich nur erfassen, wenn man sie über Jahre erlebt hat; sie ist eine Stadt, die sich immerzu wandelt, nie herrscht Ruhe, Beständigkeit und das liebe ich so an ihr.
    Frankfurt-East wandelt sich von der Schmuddelecke zum Vorzeigeobjekt, obwohl mir die Autoglaspaläste mit ihrem Protz auch schon wieder überzogen sind, das Museumsufer in seiner Schönheit, alles noch verhältnismäßig jung und das EZB-Wahrzeichen mit der alten Großmarkthalle, es wird ein Schmuckstück werden. Die alten Großmarkthändler fehlen, die ein Völkchen für sich waren. Der Husband bekam abends das eingenommene, ungezählte in Plastiktüten verwahrte Geld auf seinen Schreibtisch geschmissen….es herrschte die alte Kaufmannsehre. Damals waren Banken noch Dienstleister und keine Produktverkäufer.
    Dieses häßliche 60er Jahre Frankfurt wie hat sich das häßliche Entlein zum stolzen Schwan gemausert und im Moment wird das zwischenzeitlich so verrufene Bahnhofsviertel wieder in. Als ich noch jung und übermütig war, waren dort die Tanzschulen angesiedelt.
    Ich habe nur 3 Jahre in Frankfurt direkt gewohnt im scheußlichen Riederwald, der immer noch scheußlich ist und wenn mich jemand fragt, woher kommst Du, antworte ich im Brustton der Überzeugung: aus Frankfurt -:)))
    Zu meiner Lehrzeit hatte die Bank mit dem heute höchsten Turm auch schon ein Hochhaus, ich glaube es waren damals 15 Stockwerke.
    Was mich traurig macht, daß alle einmal renommierten Firmen: AEG, Degussa, Metallgesellschaft, Lurgi, Hartmann& Braun, Voigt & Haeffner , Neckermann usw.nicht mehr existieren, boten sie früher doch eine Garantie für lebenslanges Arbeiten. Mir tun die heutigen jungen Banker u.s. leid, denn sie sind ja gezwungen mit den Wölfen zu heulen, kriegen ihr Outfit, ihr Auftreten vorgeschrieben…ich möchte nicht mit ihnen tauschen.
    Das Frankfurt, in dem sich am wenigsten ändert, ist das der Stadtteile Bockenheim, mit Ausnahme des Westends, Bornheim und Sachsenhausen.
    Und was sich nie ändert -:))) ist die Eintracht mit ihren Hoch und Tiefs, aber auch dieser Verein paßt 100%ig zu dieser Stadt.
    Nehmen Sie Frau Käthe an die Hand und genussbummeln Sie durch Bembeltown….aber da wird ein Tag nicht ausreichen…..
    mit netten Abendgrüßen aus nicht weit weg von der City aus einer Stadt, in der im Moment auch kein Stein auf dem anderen bleibt und die auch ihr sehr negatives Image als ehemalige Garnisonstadt langsam abstreift verbleibe ich

    Karin

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  6. Ach der Rory und seine Strat, was für schöne Jugenderinnerungen wir doch teilen, auch wenn die Stadt eine andere ist. Man merkt mit jedem Wort, dass Du deine so verkannte Stadt liebst, die ich nicht wirklich kenne und deren Skyline ich irgendwie abschreckend und dann doch wieder faszinierend finde.
    Alles was ich bisher von Frankfurt zu sehen bekam war der Weg ins Waldstadion (Springsteen) und durch graue Vororte zur Festhalle (Springsteen) sowie die unmittelbare Umgebung der Bembelbär-Homebase, immerhin mit Gaddewerdschaft nebst Handkäs und Woi. Ein wenig wenig für ein Urteil, ich warte auf eine Tour mit Dir, irgendwann.

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  7. Den im Pflaster eingelassenen Apfel finde ich dennoch etwas befremdlich, angesichts der ähnlich gestalteten Stolpersteine. Allerdings weiß ich halt auch nicht was eher da war..

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  8. Bei diesem Springsteenkonzert im Waldstadion war ich auch -:))) mein einziges Popkonzert im bisherigen Leben, aber ich war auf den Rängen …nicht unten, wo die Mädchen reihenweise in Ohnmacht fielen…..wie schnell doch die Zeiten vergehen…der Boss ist ein alter Herr und ich eine alte Dame, aber rocken können wir beide noch….

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  9. Nana, sehrwerte FRau Karin, der Riederwald ist immerhin die Heimat der glorreichen Diva. Rein optisch gesehen haben allerdings durchaus Recht mit Ihrer Einschätzung.
    Der höchste Turm ist der Ginnheimer Spargel. An den alten CobaTurm kann ich mich nicht mehr erinnern. Für uns war in den 1970er Jahren die Bockenheimer Anlage die wichtigere Wegmarke.
    Für Ihren ergänzenden Kommentar danke ich Ihnen und verbleieb, Ihr Herr Ärmel

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  10. Der „Weg durch graue Vororte zur Festhalle“ würde mich nun doch einmal interessieren? Sossenheim, Rödelheim… Es wird in der Tat Zeit für eine gemeinsame Tour mit Kamera, Hunger und vor allem Durst…

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  11. Dieser Spruch, mein lieber Verärmelter, rief ebend Schallendgelächter hervor. Und das dringende Bedürfnis…….
    ….Dir spontan um den Hals zu fallen. Pardon, aber ich kann nedd anners.

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  12. Vielen Dank für diese Liebeserklärung an „Deine“ Stadt … da möchte man doch am liebsten wieder mal hinfahren. Insbesondere dieses Antiquariat Wolfgang Rüger hat es mir angetan …

    Als ich das letzte mal in Frankfurt war, stattete ich dem Club Voltaire einen Besuch ab … den Sinkkasten kenne ich leider noch nicht … wird sich aber vielleicht auch mal ergeben …

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  13. Ach, der gute alte Club Voltaire in der Kleinen Hochstrasse. Da war ich letztes Jahr auch wieder einmal. Der ist übrigens nicht weit vom Zoom (ehem. Sinkkasten) entfernt.
    Und überhaupt, es freut mich, wenn sich jemand guten Willens gerne mal ein anderes Bild von Frankfurt machen möchte

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  14. Ich hinterlege hier flugs noch einen Famossonntagsvorabendgruß. Möge Ihnen wohl sein auf Ihrem Schwarzen Berge. Beste Abendgestaltung und superiöse Nachtruhe, das wünscht Ihre ergebene Frau Knobloch.

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  15. Abgeholt freudig&munter. Ich säume nicht, Ihnen werte Frau Knobloch einen grandiosmontäglichen Wohlseinsgruss vom hiesigen Schwarzen Berg ins nordöstlichlippische Land zu senden. Wie stets, Ihr Herr Ärmel

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  16. Herr Ärmel zeigte eine gewisse Art von derbem, dennoch kultiviertem Charmanthumor- das mit den krummen Knien…was ihn wiederum mir angelegentlich leicht seelenverwändtlich macht….Schöne Lachgrüße ins Gebiet ganz hinne drin

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  17. Ich wills nur gestehen: auch dieser Hinweis stammt von meiner Urgrossmutter. Sie empfahl diese Hülfsvorstellung falls man sich gegenüber einem menschlichen Gegenüber selbst zu klein vorkommen sollte…

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  18. Ach, ’s Debbo! Das habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Als meine Familie zum zweiten Mal in meinem Leben nach Frankfurt zog, wurde es stillgelegt, aber ich habe noch Straßenbahnen hineinfahren sehen, bilde ich mir ein.

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  19. ´s Debbo? Klingt frankforderisch. Stillgelegt seit Ender der 1970er Jahre…
    Vielen Dank für den Kommentar und herzlich willkommen.
    Schöne Grüsse vom Schwarzen Berg (der duht nedd in Frankford leie)

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