Eine Woche hat mehr als sieben Tage

Stimmengewirr in vielen Zungen draussen an der Staufenmauer. Türen von Lieferwagen schlagen ins Schloss. Einer schreit Kommandos. Der Spast von der Kosti redet abgehackt und in Zuckungen mit der Hauswand unter meinem Fenster. Die Symphonie einer lebendigen Stadt…

Seit einer Woche im Lande und schon geht nichts mehr der Reihe nach. Besucher, Leser und Gugger mögen es mir nachsehen. Am Ende geben die Eindrücke vielleicht nach und lassen sich begreifen. Auf dem Flughafen der Kapitale des Schwarzen Berges wurden im Jahr 2012 gezählte 650000 Passagiere abgefertigt. Auf dem Frankfurter Flughafen im gleichen Zeitraum 57 Millionen Reisende. Zugegeben, der Vergleich mag manchem hinkend erscheinen. Aber so ist das moderne Leben. Wir alle hinken ständig irgendwo irgendwem irgendwie hinterdrein.
Donnerstags morgens vor der Fahrt in den Regenwald noch eine schnelle Einkehr bei dem deutschgeteilten Discounter. Ich bin bekennender Konsument der südlichen Hälfte. Der Laden ist voll. Und ich lächle morgens. Einfach so und aus Gewohnheit. Das passt nicht gut. In Deutschland oft nicht und morgens in einem Konsumtempel schon garnicht.
Böse Gesichter und billige Angebote und ich mittendrin. Erloschene Augen und hängende Mundwinkel. Attribute eines satten Lebens Was soll man sich gönnen, wenn man sich doch sonst nichts gönnt. Die Freundlichkeit eines muffig feuchtkalten Kellergewölbes.
Überall Ampeln. In jedem Winkel und an jedem unpassenden Platz. Hauptsache Ampel. Hauptsache geregelte Beweglichkeit. Der Ansager In einem der austauschbaren Radiosender wirbt für sein Internetradio. Dabei ploppt ihm die Wahrheit aus dem Mund: Gehn Sie uns ins Netz. Konkrete Werbepoesie.
Der Präsident erklärt den mohammedanischen Religionsfaschisten den Krieg. Auch Luftangriffe seien möglich. Er muss es wissen, denn auf dem Land haben hat sich seine Armee noch nie mit Ruhm bekleckert. Wer aber bewahrt die Welt, meine Kinder oder gar mich vor den Weltherrschaftsterroristen der USofA.
Zum Ausgleich und Trost meiner Besorgnis erfahre ich, dass alles halb so schlimm sei. Die deutschen Verräter hätten den Ammidiensten statt 220 nur 200 Dokumente verkauft. Alles Altpapier quasi, kommentiert der deutsche geheime Dienst.
Und hier auf der Zeil tanzt die Luzi. Russen lamentieren Trauergesänge zum Herzerweichen und Geldbörsenöffnen. Südosteuropa mischt mit Lärm und Tempo die wabernde Konsumentenmasse auf. Mich fasziniert der Mann am Flügel, der statt der Spielgenehmigung einen Bussgeldbescheid bekommt, weil sein Instrument auf Rädern daherkommt. So laut wiehern Frankfurter Amtsschimmel. Der akrobatisch beeindruckende Fussballartist lässt den Ball überall auf seinem Körper tanzen.
Die junge Frau mit den Riesenseifenblasen muss noch ein wenig üben. Dafür umsteht sie die Menge. Kinder johlen. Springen nach den Blasen und holen sich beim Platzen regelmässig eine Dusche. Zweihundert Meter weiter steht ein Mann, der hat das richtig gut drauf hat mit den riesigen Seifenblasen. Wer versteht, warum ihm und seiner Kunst höchstens zehn Passanten ihre Zeit schenken, der versteht den ganzen Konsumirrsinn auf dieser schnellen heissen Meile.
Die missionarisch aufdringlchen Fernostmönche. Curryfarben. Die Massen von vokalschnatternden Chinesen. Mit Konsumerngütern ausgestattet. Deutsche Riffelkoffer sollens sein. Taschentüten schleppend. Einem hängt das Preisschild noch aus der Hosentasche, einem anderen am neuen Rucksack. Bettler schinden Eindruck mit Beinstümpfen. Wer hier mit offenen Augen entlangschlendert erkennt nach drei Tagen bestimmte Rhythmen und Strukturen. Mich nervt das Getriebe allmählich.
Ich gehe rüber zum Anlagenring. Der zackige Anlagenring stellt die alte befestigte Stadtgrenze dar. Friedberger Anlage Ecke Bergerstrasse liegt der Bethmannpark. Seinerzeit ausserhalb der Stadtbefestigung gelegen. Hochfeiner Schrebergarten für die Bankiersfamilie mit einer chinesischen Abteilung. Hier ist es ruhig.
Ein junger Mann spricht mich an. Zuerst verstehe ich ihn nicht. Tätowierung. Buddha. Schriftzeichen. In holprigem englisch. Als sich herausstellt, dass er Latino ist reden wir spanisch. dann werden seine Wünsche klar. Sein Buddha in chinesischem Ambiente. Mit seiner elektronischen Handfessel machen wir spontan eine kleine Aufnahmesession.
Die Vielzahl der Eindrücke, die in den letzten zwei Stunden auf mich eingestürmt sind, hätten vor hundert Jahren noch für ein halbes Leben gereicht.
Allen Besuchern, Lesern und Guggern wünsche ich ein gediegen feines Wochenende.

(Fotografische Eindrücke – anklicken hilft beim gross gugge)

66 Gedanken zu „Eine Woche hat mehr als sieben Tage

  1. Ihr Text liest sich genau so, wie die Bilder es vermitteln. Und ich fühle mich zurückversetzt zu meinen vergeblichen Versuchen, Frankfurt positiv zu fühlen. Ich war wohl tatsächlich immer an den falschen Orten. Nun, es hat ja schlußendlich sogar mit Düsseldorf geklappt, sich in die Stadt zu verlieben. Halt abseits des Konsumterrors. Ich behalte Frankfurt also auf der Wunschbesuchsliste. Wundervollste Gutenmorgengrüße, lippischlandregenbenetzt, Ihre Frau Knobloch, zugetan wie stets.

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  2. Es gibt viele Menschen, die spontan in love fallen mit New York zum Beispiel. Ich mochte New York noch nie. Für mich eine Stadt für Menschen, die sich eher für Oberflächen und Aussenseiten interessieren.
    Frankfurt ist da viel spröder. Man muss Geduld haben, sich annähern, aus der (historischen) Distanz draufschauen und irgendwann öffnet sich die Stadt dem Betrachter und zieht ihn allmählich an sich… Das Herzsprungprinzip
    Jetztmussichaberwirklichfrühstückenundvorherbeimbäckerbrötchenholdende Grüsse, Ihr Herr Ärmel (wie stets)

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    • Das Herzsprungprinzip. Hat man dies einmal verinnerlicht, gelingt die Anwendung in vielerley Bereiche. Bis hin in die zwischenmenschlichen. Ich muß leise schmunzeln, weil ich genau so einen Herzensmenschen gerade als Kaffeegast da hatte. Unsere ersten Begegnungen standen unter keinem guten Stern und jetzt passt das buchstäbliche Keinblattpapier zwischen uns.
      Hoffentlichinzwischengefrühstückthabende Vormittagsgrüße, Ihre Frau Knobloch, freundlichst zugetan vom ersten Silbenaustausch an.

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  3. Ah, die schöne Oase der Ruhe – ich liebe den Garten der Freundschaft… „Leider“ am anderen Ende der Stadt und ich mag doch mein Viertel so gerne.

    An Frau K. und alle noch-nicht-verliebten: Frankfurt braucht einen zweiten und dritten Blick… Man muss um die Ecke gucken, in Hinterhöfe laufen und auf die Kleinigkeiten, auf die stillen Momente in der Klanghölle der Großstadt gucken.
    z.B. haben wir mitten auf einer der Haupt-Einkaufsstraßen eni Mini-Labyrinth zum Innehalten auf einem Gehweg-Stein. Schwer zu erklären … Aber solche Kuriositäten gibt es … Man muss sie nur suchen… 🙂

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    • Genau, Frau Lila, sagen Sie das der Frau Knobloch deutlich.
      Es gibt in Frankfurt übrigens vier ablaufbare Labyrinthe 😉
      (Ich spekuliere ja noch immer auf Morgen irgendwann am frühen Nachmittag…)
      Vollendsfrühstückgesättigtevormuseumsgrüsse aus Frankfurt

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    • Jetzt kenne ich virtuell schon zwo glühende Frankfurtbeschwörer. Ich gare langsam vor mich hin. Es soll wohl werden…
      Nachdem ich Frau Inchs begeistertes Dankeschön gelesen habe, muß ich allerdings auf Ärmelbegleitung bestehen. Mit Lila im Verbund am alleroberbesten.
      Herzfeine Grüße, mit Zipfelhörnchenobenseybewünschung, Ihre Frau Knobloch.

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      • Oh, das wäre doch eine tolle Kombi – ich bin mir sicher, der Herr Ärmel kennt Ecken, die ich nicht kenne. Dafür kenne ich glaube ich „neuere“ Ecken, die der Herr Ärmel noch nicht gesehen hat… Es wäre ein Träumchen 🙂

        Danke, Frau K.!

        Die Zipfel glühen und spenden Energie 🙂

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      • Sogar drei. Hab ich mich doch ebenso in diese Stadt verliebt und freue mich, sollte mein Weg dort eines Tages wieder hin führen. Zumindest für eine Zeit, ein paar Tage. Dann vermisse ich mein Wasser wieder. Aber diese kleinen Rapunzeltürmchen, neben Hightecharchitektur, der kurze Weg zum schönen Taunus, das pulsierende Leben neben vielen ruhigen schönen Ecken. Und….nicht zu vergessen den unglaublich vielen Straßenmusikern und Akrobaten. Also ich fand es großartig dort.
        Ähm…also…wie soll ich es sagen, die Wodka Bar in FfM also die, ja die, tat es mir besonders an. Wenn sie auch leider für einen Filmriss verantwortlich war. Aber toll ist sie dennoch 😀
        Herzlichste vielzufrühammorgen Grüße an die nette Runde.
        Und lieber Herr Ärmel, danke für diesen großartigen Bericht.
        Ihre, Eure Frau Ahnungslos

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        • Liebe Frau Ahnungslos, Sie sehen mich fassungslos zumindest zutiefst erstaunt. Statt Ihrer Hingabe höre ich nach Kurzaufenthalten anderer Besucher meist den üblichen gequirlt wiedergekäuten Vorurteilsschwall…
          Morgendlichvorfrühstücksfriedvollsonnige Grüsse aus der noch immer ziemlich ruhigen Stadt

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          • Vielleicht lag es an der mir gegebenen Möglichkeit, ein Frankfurt aus des Frankfurters Sicht kennenlernen zu dürfen. Würde ein Gast alleine reisen und aus Sicht eines „Touris“ diese Stadt besuchen, würde es vielleicht anders sein. Bin nicht sicher.
            Nur eins erschreckte mich, wir fuhren durch Frankfurts Nobelviertel, und all die vergitterten Fenster. Nicht eins ohne. Das machte mir ein wenig Angst, kenn ich sowas nur aus einem mittlerweile schon angestaubten Miami Urlaubes. Da würden mich keine 10 Pferde wohntechnisch hinbekomen. Ich hab lieber die Fenster offen 🙂
            Liebe Grüße mit Kaffee in der Hand zurück.

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    • Da ich selbst in drei Wochen in Frankfurt sein werde, versprochen, dann soll es mir ein Bedürfnis sein, einige Blicke für diese Stadt zu erübrigen. Sie soll mir aber bitte auch freundlich begegnen. Ich verschrecke so leicht.

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  4. Ich war nur 1x in Frankfurt, vergeben Sie verehrter Herr Ärmel.
    Eine Begebenheiten habe ich in Erinnerung.
    Ich hatte mich verlaufen und fragte in einem griechischen Lokal nach dem Weg.
    Eigentlich war schon zu und die Betreiber waren beim Abendessen.
    Spontan wurde ich zum Essen eingeladen und dann heim geleitet.
    Es war nicht weit, allein hätte ich noch lange umherirrt.
    Freundliche Menschen sind also meine Erinnerung an Ihre Stadt.
    Ebensolche Grüße an Sie, Ihre Arabella

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  5. Missionarisch aufdringliche Fernöstmönche? Im Gegensatz zu Scientologen, Wachturmverkäufern und anderen Sektenvögeln fand ich die immer recht harmlos, von denen hat mich gar niemand jemals angequatscht.
    Was kann die barfüßige Dame zwischen Kicker und Seifenblase für Tricks? (Super Seifenblasenplöpp übrigens.) Und was sind das für seltsame Labyrinthe von denen hier alle reden?

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  6. Seit London habe ich scheinbar eine Allergie gegen solchen Trubel. Beim Lesen bemerke ich einen gewissen Stresspegel. Oder ist es der Ihre, der, aufgrund lebendigster Schreibe, zu mir rüberschwappt.

    Weiterentrümpelndegutgelaunte Grüße
    vom Schreibtisch

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  7. Wahnsinn! Da kann einem vom Lesen und Bilder-Gucken ganz schwindlig werden. Durch die Seifenblasen scheint immerhin für einen Moment die Zeit still zu stehen… Pfffff… einmal ganz tief ausatmen… und Kopf einziehen!

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  8. Oha 🙂

    Ich fasse mal zusammen: wann immer die es einrichten können, wenn nicht lese ich trotzdem weiter und hoffe, dass es ein nächsten Mal klappt 😉

    Die vier Labyrinthe möchte ich trotzdem wissen 😉

    Nächtlichste Grüße 😉

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    • Kirche Oberer Kalbacher Weg 9, Kirche Mauritiusstr. 10, Alter Flugplatz Bonames/Kalbach Am Burghof 55, Liebfrauenberg – – ollen klor nu?
      Wer sind DIE Einrichter? Elektropostknecht kömmt…
      Morgendlichfriedliche Grüsse

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    • Rechtfeinen Dank fürs Kompliment.
      Kleiner Tipp für Menschemengen. Längere Brennweite und etwas weiter weggehen 😉
      Morgendlichvorfrühstücksfriedvolle Grüsse aus der noch ziemlich ruhigen Stadt

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  9. Das, lieber Herr Ärmel, ist eine wirklich gelungene Stadtsymphonie. Ich habe sie sehr, sehr gerne gehört und spare mir alle Details. Beschenken Sie uns weiter.

    Auf dem Weg zu einem späten Morgenkaffee grüßt Ihr Zeilentiger

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  10. Inspiriert, weil erschreckensintensive Wahrbeobachtung, haben mich diese Sätze:
    Böse Gesichter und billige Angebote und ich mittendrin. Erloschene Augen und hängende Mundwinkel. Attribute eines satten Lebens Was soll man sich gönnen, wenn man sich doch sonst nichts gönnt. Die Freundlichkeit eines muffig feuchtkalten Kellergewölbes.
    Zum Glück arbeitet man nicht dort, kann das üble Seichtgemeinsinnsleben mit anderen Augen, nicht erloschenen, sehen. Auf der anderen Seite verstehe ich die Konsummenschen, die ja sonst nichts haben. Von klein auf lief der Fernseher, was soll man machen, nä, nä….einen Sandsack in jede Familie und immer die Streichhölzer verstecken.
    Gruß nach der Hirschbrunftzeit

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    • Schön, Sie wohlbehalten zurück und lesenswerte Kommentare schreibend zu wissen.
      habe ich Ihnen schon mitgeteilt, dass ich Ihre Kommentare sehr schätze.
      Fastmittäglichleichtgrossstadthektische Grüsse aus der schnellen Stadt

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