Rheinwiesen letzte Äpfel und bitterer Rauch

Es gibt Empfehlungen, da kann ich kaum widerstehen. Da sind Namen die Verlockung. Entweder die der Musikalartisten oder die Namen der Hinweisgeber. In diesem Falle traf beides, aber leider am Ziel vorbei. Deshalb gibts jetzt richtige Musik:
Aziz Sahmaoui & University of Gnawa – University of Gnawa (Marokko / Senegal 2011)…

Ich warte auf Besuch und habe noch eine, zwei Stunden Zeit. Das Licht draussen ist am mittleren Nachmittag so magisch wie das ganze südliche Bembelland. Es fällt mir jedesmal schwer, mich spontan für den besten Ort zu entscheiden. Irgendwie sind fast alle Orte die besten. Zur Lichtbildnerei. Das Zögern kostet wertvolle Minuten und vor allem gutes Licht.
Ich entscheide mich heute für die Rheinwiesen. Zwischen einem Altrheinarm und Schwarzbach. Streuobstwiesen mit einigen wenigen vergessenen Paradiesfrüchten. Äpfel. Rotleuchtend hängen einige vergessene im kahlen Geäst. Das Licht reicht für das analoge Geraffel und schwarz-weiss Filme nicht mehr aus.
Eine Krähe missversteht meinen Zuruf und fliegt zu früh aus dem Acker auf. In der Dämmerung die letzte Farbglut in einem Gebüsch. Rauch. Hier riechts irgendwo nach Rauch. In der Nische der Hecke sitzt eine Frau. Ich mache, als sähe ich sie nicht. Vielleicht geniesst sie den herben Geruch des Rauchs. Das Baumskelett greift mit Gierarmen nach dem einzel stehenden Apfelbaum.
Ein kleiner Junge zündelt. Ich blicke zurück. Die Bank ist verlassen, die Frau nicht mehr zu sehen. Der Kleine bläst in die feuchten Blätter. Flämmchen züngeln auf.
Der Vater des Jungen beginnt das Gespräch. Dies und das. Erinnerungen an Orte, die wir beide kennen. Vergangene Zeiten. Ich habe kalte Füsse. Wenn nichts mehr geht, geht zumindest noch ein Gespräch. Das Licht ist weg. Mir ist unangenehm kalt. Es wird Zeit zu gehen. Ich liebe diese Rheinwiesen. Die Stimmungen zu verschiedenen Tageszeiten. Jahreszeiten. Warum dauert es so viele Jahre, dies alles schätzen zu lernen? Ich packe mein Geraffel zusammen und mache mich auf den Rückweg. Ich lasse die Gedanken kommen und gehen.

»Ich zum Beispiel hasste früher die bloße Erwähnung des Wortes >Demut<. Ich bin ein Indianer, und wir Indianer sind seit jeher demütig und haben nie etwas anderes getan, als den Kopf zu beugen. Ich meinte, Demut sei nichts für einen Krieger. Ich irrte mich!
Heute weiß ich, dass die Demut eines Kriegers nicht die Demut eines Bettlers ist. Der Krieger beugte den Kopf vor niemandem, aber gleichzeitig erlaubt er es keinem anderen, seinen Kopf vor ihm zu beugen. Der Bettler hingegen fällt bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit auf die Knie und leckt jedem, den er für höher erachtet als sich selbst, die Stiefel: zugleich aber erwartet er, dass ein Geringerer als er ihm die Stiefel leckt.
Deshalb sagte ich dir heute auch schon, dass ich nicht verstehe, wie die Meister des Ostens, die Gurus, sich fühlen. Ich kenne nur die Demut eines Kriegers, und diese wird mir nie erlauben, der Meister eines anderen zu sein.«
(Carlos Castaneda: Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten. Frankfurt, 1978. S.27)

(Foto anklicken und gross gugge)

 

69 Gedanken zu „Rheinwiesen letzte Äpfel und bitterer Rauch

  1. Wenn ich mir eins aussuchen darf…nehme ich das Bild mit den sich im Fluß spiegelnden Pappeln.
    Die Kühle, die es ausstrahlt, bist eine der mit Tee beizukommen ist. Keine Kühle des Herzens.
    Wie sollte die auch von jemanden kommen, der in der Heimat ist.
    Die Buchempfehlung ist von bester Ärmelqualität.
    Klasse.

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  2. Kann ein Süddeutscher wohl ermessen, welche Magie allein dem Wort „Streuobstwiese“ innewohnt? So etwas kennen wir hier im Norden kaum. Eine würdige Alternative zu november-nebligen Mooren, will mir scheinen. 😉 Und Hochspannungsmasten sollte man überhaupt nur gespiegelt posten. Fast schon wieder weg: Demut ist unbedingt für Krieger!

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    • Wenn ich mich als Süddeutscher bezeichne, dann kann ich das sehr wohl ermessen.
      Gibt es im Alten Land denn keine Streuobstwiesen?
      Diese spezielle Streuobstwiese mit dieser Bank in der Heckennische, daran werden viele Menschen Erinnerungen haben. An ihre Jugend und die ersten Techtelmechtel so scheu im Verborgenen, hach – – –
      Novembergraumorgenungemütliche Grüsse aus dem erwachenden Bembelland

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      • Ich weiß, für manchen Norddeutschen beginnt Süddeutschland gleich südlich der Elbe… 😉 (und vermutlich gibt es umgekehrt ähnlich lustige „Grenz“-Vorstellungen). Meine unverbrüchliche Liebe zur Streuobstwiese wurde einst im schwäbischen Hepsisau begründet. Ahh, diese Wiese könnte ich heute noch malen – vorausgesetzt natürlich, ich könnte malen. Nein, im Alten Land gibt es das nicht (mehr). Da wird Obst monokultiviert auf Böden, die auch nicht viel Ähnlichkeit mit einer Wiese haben. Aber Techtelmechtel-Heckennischen-Bänke gibt es zum Glück auch hier. 🙂

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        • Der Main ist definitiv die Grenze zu Norddeutschland. Das ist nun spannend, ist die verbembelte Streuobstwiese nun in Nord- oder in Süddeutschland? Ist der Herr Ärmel gar ein Norddeutscher, süddeutsche Streuobstwiesen besuchend? Oder ein Landsmann von mir, Ihre Heimat besuchend? Oder ist der zuhause geblieben? Braucht man einen Ausweis? In beide Richtungen? Fragen über Fragen… 😀

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        • Es muss im Norden Streuobstwiesen geben – anders will ich das nicht glauben…
          —und muss es hinnehmen:
          „2. Verbreitung: In Deutschland nach Schätzungen des NABU-BFA Streuobst 300.000 – 400.000 ha mit Schwerpunkt Süd- und Mitteldeutschland. Zum Vergleich: Ca. 60.000 ha niederstämmiger Plantagenobstbau in Deutschland. Maximalbestand in Deutschland ca. 1950 mit 1,5 Mio ha. Großflächige Bestände auch in manchen Regionen von Frankreich (Normandie, Lothringen), Luxemburg, Spanien (Norden), Österreich, Schweiz, Slowenien, Tschechien.“ (cit. http://www.nabu.de/themen/streuobst/hintergrund/05907.html, da kann man die Infos via pdf abrufen)
          Sehr verehrte Frau Wulf, sollten wir zur gleichen Zeit im südlichen Bembelland aufhalten, biete ich Ihnen einen Gang über eine Streuobstwiese an.
          Spätabendlichruhesuchende Grüsse aus dem mainspitzigen Bembelland

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    • Ich kann Sie mir, liebe Frau Coupar, in diesem Zusammenhang gut denken.
      Ich wünsche Ihnen einen gelingenden Tag und sende novembergraumorgenungemütliche Grüsse aus dem erwachenden Bembelland

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  3. Beeindruckende Bilderserie. Man hört die Ruhe. Der gespiegelte Strommast, die Krähe auf der Straße, allesamt toll. Die Beschreibung zu Beginn des Textes, die Situation zusammen mit den Fotos, wie der Beginn eines Films, ein Roadmuhwie, mit dem Titel vielleicht „Als ich aus dem Auto ausstieg um meinen neuen Weg zu suchen, aber immer noch nicht weiß ob ich ihn fand“.
    So. Jetzt geh ich nochmal groß gugga.

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  4. Die Schönheit des Bembellandes. Manchmal bin ich fast froh, dass so wenige sie kennen. Hier bei mir sind die Alpen näher, und da muss man inzwischen an den Wanderwegen schon fast Schlange stehen.

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  5. Die Schönheit des Bembellandes. Manchmal bin ich fast froh, dass so wenige sie kennen. Hier bei mir sind die Alpen näher, und da muss man inzwischen an den Wanderwegen schon fast Schlange stehen.

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    • Es ist in der Tat erstaunlich wie wenig hier los ist obwohl so viele Menschen im Rhein-Main-Gebiet leben.
      Und dadurch bleiben auch viele nicht so leicht zugängliche Flecken noch immer unentdeckt…
      Novembergraumorgenungemütliche Grüsse aus dem erwachenden Bembelland

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  6. Schön, wenn fast alle Orte die besten sind. Sie weben einen Zauber mit Ihrer Beschreibung, und das nicht nur mit einem Satz. Nun verstehe ich Ihr magisches Bembelland. Wobei Sie mit dieser Haltung jeden Ort zu einem magischen machen können. Alle Orte sind die besten.

    Meine Castaneda-Sammlung hatte ich damals von einer 93-jährigen Frau geschenkt bekommen. Ich war von ihr sehr beeindruckt gewesen. Sie hatte als über Siebzigjahre sich auf das Abenteuer Carlos Castaneda eingelassen. Ist das nicht Zeugnis einer großen Offenheit? Schließlich übergab sie mir weise die Bücher: einem jungen Menschen. Als ich sie das nächste Mal besuchte – leider erst nach wenigen Jahren – war sie dement und erkannte mich und auch sonst niemanden mehr wieder. Die Bücher habe ich selbstverständlich noch.

    Danke für Ihren wunderschönen musikalischen Hinweis. Er zaubert, der Herr Ärmel …

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    • Eine anrührende Geschichte, wie sie nur das Leben schreiben kann. Vielen Dank für die Mitteilung.
      Und Ihre Gedanken zu den besten Orten – so denke ich das auch.
      Es ist eine Frage des Blicks, der Einstellung. Fernab jedes gefühlsduseligen Lokalpatriotismus. Es ist die individuelle Beziehung zu einem Ort.
      Novembergraumorgenungemütliche Grüsse aus dem erwachenden Bembelland

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  7. Was für melancholisch-schöne Bilder. Ich mag besonders das mit dem fliegenden Laub und dem Strommasten. Und vielen Dank für das Zitat (eines Autors, den ich noch entdecken muss); es hat mich zum Nachdenken gebracht bzw. tut das immer noch. Herbstgrüße ins Bembelland!

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    • Ganz herzlichen Dank für den freundlichen Gruss.
      (Das Laub auf dem Strommastbild schwimmt 😉 )
      Castaneda sollte man im zeitlichen Kontext sehen. Er ist bei Anthropologen oder Ethnologen schon lange nicht mehr unumstritten.
      Andererseits sind die Zitate, die bleiben werden…
      Novembergraumorgenarbeitanlaufendbewegliche Grüsse aus dem erwachenden Bembelland

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      • Ich bitte herzlich um Entschuldigung, was die Bildeinschätzung angeht – ich habe gerade nur das Smartphone zur Verfügung und damit lediglich eine eingeschränkte Bildbetrachtungsmöglichkeit, ich dachte wirklich, der Mast wäre tatsächlich auf dem Foto. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich jetzt auch die Feinkräusel der Spiegelung und bin fast noch mehr als vorher davon begeistert.

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  8. Es kann nur jemand die Magie eines Ortes vermitteln, der diese Magie tief in sich trägt. Ihnen gelingt das immer wieder, weil Sie die Orte in sich hineinlassen. Danke für das immer wieder mitnehmen hin zu diesen magischen Plätzen, herzlich zugeneigt, Ihre Frau Knobloch.

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    • Ich bin kein Künstler (ars long vita brevis!) – aber jeder Mensch sollte wissen, dass man nur etwas aus sich herausbrungen kann, was auch in einem drinnen ist und lebt. Insofern teile ich Ihre Meinung voll&ganz, liebe Frau Knobloch.

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      • Mmmh, kein Künstler. Wie definiert man dann jemanden, der Bilder entstehen läßt, die den Blick einfangen und Geschichten erzählend machen, mein lieber Herr Ärmel? Nicht, daß Geschichtenentstehlaßfesthalter einer Definition bedürfen, aber meine hiesige Frau Ärmeline, die stand ziemlich begeistert vor dem Bilde, wandte sich mir zu und sagte: „Das ist ganz große Photographenkunst.“
        Kurzgalopppausierendeluftholgrüße, Ihre Frau Knobloch, zugetan wie stets.

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        • Ihr Motiv kannse ja nun nicht mehr haben… aber: wenn sie eventuell ein anderes gerne ihr eigenen nennen möchte?
          Vermitteln Sie neben Schönstgewächsen eigentlich auch Bildwerke??? – – – frage ich mich und sende dabei nachmittäglichnovembrigbesinnliche Grüsse aus dem Bembelland, Ihr Herr Ärmel

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          • Frau Ärmeline, noch äußerst jung an Jahren, fast ein Fräulein gar, die würde lieber von Ihnen lernen, als ein wenn auch noch so famoses Bild erwerben. Sie sehen, ein Grund mehr, nach Lipperlandien zu reisen, mein lieber Herr Ärmel. Apropos Lipperlandien: Ich umreiße aus Zeitmangel nur flugs ein Bild, was mir seit geraumer Zeit innekreist > Wir zwo beiden, in feinvergnüglicher Famosmenschengesellschaft in einem wenkenstraßigen Hinterhofe mit angeschlossenem Atelier und Florallabor anstoßend auf eine gelunge Photographienausstellungseröffnung ~~~~~~~~
            Harztannendufteflinktippeditappgrüße, immer die Ihre.

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            • In jungen Jahren, meine werte Frau Knobloch, in jungen Jahren wenns wehtut muss man in Kunst investieren. Das gibt ein unerschütterliches ästhetisches Lebensfundament. In Handwerkskunst investieren, wer verstünde dies besser als Sie.
              Sprechen Sie mit Frau Ärmeline, sie wird es Ihnen danken.
              Nun aber rasch bettwärts trollend, sende ich herzliche Grüsse aus dem schläfrigen Bembelland, Ihr Herr Ärmel

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  9. Ich liebe den November. Ich liebe die Bilder, die da entstehen. Der November hat etwas melancholisches. Ich gucke mir die Deinen wunderschönen Bilder an und merke, wie sie meine Seele berühren. Ich komme ins Grübeln. Bin ich melancholisch? Warum mag ich den November, seine Melancholie? Mag ich deshalb Russland so? Wegen der Melancholie? Ich schließe die Seite, aber die Geanken, die Deine Bilder auslösen, bleiben im Kopf

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  10. Die Fotos lassen mich frösteln. Kalte Füße, danach sieht es aus. Dennoch hätte ich Dich gerne begleitet um die rauchig-neblig-kühl-feuchte Herbststimmung einzufangen. Leider war hier gerade Arbeit angesagt in der Nebelsuppenzeit, das Wetter will sich nie an meinen Zeitplan halten.
    Im Alten Land soll es übrigens wieder Streuobstwiesen geben und viele alte vergessene Sorten (Boomgarden Projekt) was natürlich nicht ganz einfach ist, weil Projekte die viel Arbeit kosten und wenig finanziellen Ertrag versprechen immer nur von seltenen Idealisten getragen werden.

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    • swegen erwähnte ich das oben im Kommentar zu Frau Wulf. Ich habe eine Doku gesehen über Streuobstwiesen im Alten Land und dort waren unglaubliche Liebhaber alter Apfelsorten (moderne Bonifatiusse quasi *ggg*)
      Da muss was zu fotografieren sein…
      Aber ihr habt ja den Duvenstedter Brook, den ich viel zu wenig kenne…

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    • Da ich, müde wie ich jetzt bin, auch nicht besser könnte zitiere ich aus der Bibel der Wikidemiker:
      „Das Alte Land ist ein Teil der Elbmarsch südlich der Elbe in Hamburg und in Niedersachsen. Es umfasst die Gemeinde Jork, die Samtgemeinde Lühe und den Neu Wulmstorfer Ortsteil Rübke in Niedersachsen sowie die Hamburger Stadtteile Neuenfelde, Cranz und Francop.
      Im Jahre 2012 nominierte das Land Niedersachsen die Kulturlandschaft Altes Land für die deutsche Tentativliste bei zukünftigen UNESCO-Welterbeanträgen. Weitere Entscheidungen über den Erfolg der Bewerbung fallen 2013 durch die Kultusministerkonferenz und frühestens ab dem Jahre 2017 durch die UNESCO.“ (cit. http://de.wikipedia.org/wiki/Altes_Land : abgerufen 26.11.2014 22:02)

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  11. das sind herrliche Bilder, danke Herr Ärmel, über die Demut sinniere ich noch ein bisschen nach, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich das alles so unterschreiben kann …
    herzliche Grüsse, jetzt aus dem Tal bei der Tochter, wo es nur grau ist

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  12. zauberhafte Stillleben in Wort und Bild; das ist dir wieder mal hervorragend gelungen…
    …und was mir auch noch seeehr gefällt: wenn nix mehr geht, dann geht immer noch ein Gespräch…
    …aber manchmal geht auch das nicht mehr… und dann, du weiser Mann, was dann?

    Eine beeindruckende, kriegerische Demutstelle hast du aus dem Castaneda-Werk ausgewählt…
    Demut ist wichtig, und heutzutage wird es leider fast immer mit Füßen getreten,
    vor allem auch von den modernen Kriegern…ich bin gegen sie alle!

    Lass es dir gut gehen,
    lieber Schreibfreund,
    bonne nuit 🙂

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