Silvester im Norden. Auf dem Wasser. In der Kälte.

Mein heutiges Musikprogramm spielt ausser Haus. Genauer, ums Haus herum. Ein Duett von Wind & Sturm. Selbst armstarke Äste werden mühelos auf ihre Maximalelastizität gebogen. Wipfelgewackel in lebhaftem Rhythmus. Der fast volle Bleichmond hat die Dunstlarve vorgezogen. Der hats besser, der kann sich das Konzert von oben ansehen. Ich bin im Norden und bin mit ausreichend wärmedämmender Kleidung versorgt…

Auf der Fahrt nach Norden steht ein Mann an der Strasse. Hinter der hessischen Grenze dort wo das Land ebenso hügelig wie feucht und waldicht wird. Schwere Lederjacke, kleines Gepäck, freundlicher Blick und ein handliches Reisegeraffel an der Seite. Ich halte an und frage ihn nach seinem Ziel. Ein Wunder zum Jahresende. Wir haben das gleiche Ziel: unseren Gastgeber für ein ganz exquisites Silvesterereignis.
Nach der herzlichen Begrüssung und einem ebensolchen Bierchen entern wir die öffentlichen Verkehrsmittel. Nach neunzig Minuten Fahrt und einem anschliessend fünfzehnminütigen Fussmarsch erreichen wir die Wasserkante. Die südliche Grenze des grossen Hafens. Dort hat die MS Omka angelegt. Ein Schlepper Baujahr 1926, in zehnjähriger Arbeit restauriert von Käptn Stefan. Der steht an der Reling und begrüsst jeden der etwa zwanzig Fahrgäste mit einem kräftigen Handschlag. Es folgt eine kleine Ansprache über den weiteren Verlauf des Abends und schon legen wir ab.
Der Harburger Hafen erscheint in der Dunkelheit als unübersichtliches Labyrinth. Vorbei an tollen Hausbooten, machen wir in einem Seitenbecken fest. Es gibt heisse Suppe für die Besatzung, d.h. für alle Gäste. Nach dieser Stärkung gehts durch eine mächtige Schleuse und vorbei am Kohlekraftwerk Moorburg. Unter einer beeindruckenden Brücke hindurch, die extra für unsere Durchfahrt angehoben wird. Irgendwo in der vor uns liegenden Dunkelheit fliesst die Elbe, die wir bald darauf erreichen.
Wir fahren stromaufwärts zu den Landungsbrücken. Wir sind just gegenüber des alten Elbtunnels, da bricht das Leuchtinferno über der Stadt aus. Von Mitternacht an eine ganze Stunde ununterbrochenes Geballer, Gezische und Geknalle. Eine unüberschaubare Menschenmasse bevölkert die Landungsbrücken. Auf dem Wasser ist auch viel los. Boote und Schiffe aller Grössen fahren hin und her. Kühne Schlangelinien dazwischen fährt ein blauweisses LaLüBoot.
Wir sind beeindruckt von dem Spektakel und mittlerweile auch ordentlich durchgefroren, sodass ein einziges Bierchen für diese Silvesternacht ausreicht. Auf dem Weg zurück zum Anlegeplatz gibts sehr leckeren Kirschkuchen. An dieser Stelle mein Kompliment und meinen Dank an die Frau des Käptns, die für unsere schmackhafte Verköstigung sorgte.
Da ich vorn in der Kajüte stehe, überlässt er mir kurzerhand das Steuer. Hier, willste mal fahren? Gerne, Käptn. Immer an den roten und grünen Signallampen orientieren. Ey ey Käptn. Lichtscheine und Reflektionen auf asphaltierten Strassen bin ich gewohnt, aber das irllichternde Geglitzer auf einer Wasserobfläche ist verwirrend. Und es leuchtet und flackert überall. Das Steuern macht Freude aber als deutscher Mensch taucht mir die Frage auf, ob ich meinen Lappen verlieren würde, wenn ich jetzt hier mitten in der Nacht auf dem Wasser ohne Käpitänspatent erwischt werden würde. So weit isses schon.
Um 2:30 Uhr verlassen wir die MS Omka. Etwas ermüdet laufen wir zur Bahn und erreichen endlich das Nachtasyl unseres freundlichen Gastgebers. Ein ganz besonderes Erlebnis war das. Dafür hat sich die Silvesternacht sehr gelohnt.

(Die Fotos sind direkt aus der Kamera ohne Anspruch auf Qualität. Halberfrorene Hände und ein schaukelndes Schiff…, naja)

36 Gedanken zu „Silvester im Norden. Auf dem Wasser. In der Kälte.

  1. Eine Dame, die Kirschkuchen für die Silvesternacht bereitet, würde ich zu gern kennenlernen!
    Heiß hergegangen mit durchgefrorenen Leibern, so seltsam schön wie auch die Fotos vom Tathergang!
    Diesen Bericht habe ich gern gelesen und grüße aus einer so ganz anderen Landschaft

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    • Alles aus veganer Herstellung und trotzdem geniess- und verdaubar und inzwischen cremig entsorgt. Entwarnung also, Sie können die Produzentin gefahrlos kennenlernen.
      Schöne Grüsse aus dem feuchtkalten Norden

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  2. Erster ! 😉
    Das war in der Tat mal eine Silvesterfeier der besonderen Art. Trotz „Rücken“ am Tag danach, Erfrierungen und Verbrennungen ersten Grades. *g*
    Bin übrigens grad wieder wohlbehalten im (z.Zt. windstillen) Regenwald gelandet. Hat mich außerordentlich gefreut, Dich mal wiederzutreffen, btw.
    Bis zum nächsten Mal denn… spätestens zum 60. Jubelfest unseres freundlichen Gastgebers auf dem kleinen alten Schiffchen. 🙂

    P.S.: Mist… doch nicht Erster…. während der Schreibselei war Wildgans schneller. 😉

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    • Hier nochmals die dringende Empfehlung:
      Den Mann an der Strasse und auch Herrn Zaphod Beeblebrox auf ihren heimatlichen Blogs besuchen.
      Wer wird sich denn schon einseitig informieren und horsche und gugge
      Schöne Grüsse aus dem feuchtkalten Norden

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  3. Naja hin oder her, beim Nachpupillenflanieren bei drei Augenzeugen bleibt nur ein Krawallgefühl: Bonfortionös! Derart hätte sogar ich das Krachkrawummse ertragen. Danke fürs virtuelle Mitnehmen. Apropos mitnehmen, könnte ich fürs nächste Mal eine Buddel Rum als Anheuerbefeuerung anbieten?
    Warmglühende Grüße, Ihre Frau Knobloch, leider landrattend.

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    • Verehrte nachpupillenflanierende Frau Knobloch, warmglühende…
      lassen Sie mich bitte die Antwort des sturm- und kältegeplagten Herrn Ärmel dreisterweise vorweg erahnen:

      Ne Buddel Rum gibbet nur zusammen mit 13 Mann auffe Totenmannskist.
      Zur Anheuerbefeuerung, gell !

      Hohohooo… 😉

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      • 🙂
        Negeraufstand ist in Kuba,
        Schüsse hallen duirch die Nacht.
        In den Strassen von Havanna
        wird ein Weisser umgebracht–
        Umba umba assa umba umba assa

        Ach, die Kleinbubenpfadfinderzeiten ~~~~ Da rauschten noch Wildgänse durch die Nacht…

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  4. Erinnert mich ein wenig an „Steinhuder Meer in Flammen“. Vom Wasser aus das Feuerwerk anschauen. Alles natürlich viel viel kleiner und wärmer. Schöne Bilder. Lieben Gruß. Melcoupar 🙂

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  5. brrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr ich habe ja schon beim Lesen Frostbeulen an den Händen und einen Eiszapfen an der Nase , Schwindelgefühle beim Anschauen. Ich lasse mich ja gern auf Abenteuer ein, aber wenn sie mit Kälte und eiskaltem Wasser verbunden sind, nehme ich eher Reißaus -:))). Mütze ab vor Ihrem Mut!

    Mast- und Schotenbruch wünsche ich Ihnen, lieber Herr Ärmel und es geht sich jetzt mit einer heißen Schokolade wieder erwärmen

    die Karin

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    • Na, zum Glück, liebe Frau Karin, scheinen Ihre Füsse warm geblieben zu sein 😉
      Sone heisse Schokolade, also so eine aus richtigem Kakao aufgerührt und mit einem ordentlichen Schlag steif geschlagener Sahne mmhh
      Schöne Grüsse aus dem feuchtkalten Norden

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  6. ich habe mich schon gefragt wo Sie stecken, nun ist es amtlich, in meiner Lieblingsstadt auf dem Wasser Feuerwerk anschauen, hach, das muss herrlich sein! Hier war es ziemlich ruhig, nur wenig Geböllere und Leuchsterne über weissem Schnee, war auch schön, nur der Kirschkuchen hat gefehlt …
    ich wünschen Ihnen ein feines neues Jahr, bleiben Sie gesund!
    herzliche Grüsse Ulli

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    • Jetzt, liebe Ulli wissenSes – im hohen Norden nahe Niflheim. Dort wo wir uns mit Met aus den Schädeln der Besiegten stärken.
      Ich danke Ihnen für Ihre guten Wünsche, die ich kommentarwendend zu Ihnen auf den Berg sende…
      Schöne Grüsse aus dem feuchtkalten Norden

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      • Geben Sie Acht, lieber Herr Ärmel, dass Ihnen Loki nicht einen falschen Schädel unterjubelt. Ihr Jahreswechsel ist so lesens- wie sehenswert, man möchte mit Ihnen mitgereist sein.

        Herzliche Grüße aus dem Süden

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        • Als alter Schädelkenner sind derlei Sorgen unbegründet. Ich danke dennoch für den Hinweis – man kann schliesslich nir wissen.
          Frühmorgendliche Grüsse aus dem stillschlafenden Norden.

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    • Liebe Frau Arabella, ich las Ihre Einaldung bereits heute am Morgen.
      Ich werde Sie selbstredend auch an Ihrer neuen Location besuchen.
      (psst: ich werde auch einen neuen Blog einrichten bis zum Frühjahr…)
      Schöne Grüsse aus dem feuchtkalten Norden sendet Ihnen, Ihr Herr Ärmel

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  7. Die beeindruckende Brücke war die Kattwykbrücke und für meinen Geschmack hätte sie sich auf der Rückfahrt gerne etwas zeitiger heben können *g*
    Auf die Fotos vom Duvenstedter Brook bin ich schon gespannt, die Ecke hab ich bisher nur kurz angerissen.

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    • Danke für den Brückennamen. Genau, die andere Brücke hätte gerne etwas früher hochgefahren werden können…
      Erwarte dir nicht zuviel von den Fotos, das noch einige Tage dauern. Und wie gehabt: Wasserfotos. Ist ja unglaublich nass hier überall auf den Böden…

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  8. Wenn meiner einer nicht Gäste aus dem näheren und weiteren Ausland hätte versilvestern müssen … also bis nach Hamburg hätte man das auch noch irgendwie organisieren können. Sind einfach zu schön immer, die Feuerwerke dortselbst … 🙂

    Happy New Year usw. usf. 🙂 noch nachträglich, wie leider immer erschien ihr Beitrag nicht in meinem WP-Veröffentlichungshinweisanzeiger.

    Die allerherzlichsten Grüße in die Bembelländerei,
    Der Salva 🙂

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  9. Aha, nun ist meine Neugier befriedigt, mein lieber Herr Ärmel.
    Ich hatte schon Sorge, Sie hätten angehoyert auf so ’nem Wahlfänger. Am Ende gingen Sie noch verloren, wenn kein Tätowierter Sie mit seinem Sarg retten täte.
    Jetzt isses mit mir durch gegangen. Mein Knecht leistet schlechte Dienste, die letzte Zeit. Ist wieder nix angekommen bei mir.
    Ich freue mich sehr, dass Sie Silvester so famos verlebt haben. Das sieht in der Tat nach Freude und Geselligkeit aus. Und Bojen hamse auch keine eingefangen. Auch solche mit nem Anzug nicht. He he 🙂

    Zumschlafenparatgemachte Grüße von der Westseite des Küchentischs,
    Ihre Silvia Meerbothe

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  10. Pingback: Hanseatarktische Expedition | Herr Ärmel: immer horsche immer gugge

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