Vögel überm Quartier

Für diesen Betrag etwas Blues auf Empfehlung von Herrn Pappenheimer. Seasick Steve – Sonic Soul Surfer (2015). Schönen Dank für den Hinweis Herr Pappenheimer.
Um den Kreislauf bei diesem Wetter den Tag über auf Trab zu halten, auch einen kleinen Galopp zwischendurch: George Thorogood & The Destroyers – Move it on over (1978)…

Bei dem Wetter draussen bleibt bloss der Rückzug hinter Buchdeckel. Irgendwo deckenumhüllt dem Frühling entgegenlesen.

Sie taxierte blitzschnell jede der müden, überfressenen Stadtauben tief unter sich, suchte nach bestimmte Merkmalen, wiedererkennbaren Mustern, kleinen Auffälligkeiten. Sie musste ihr Ziel präzise wählen, und ihre Augen waren dafür gerade richtig. Die besten Augen, die auf dieser Welt zu haben sind. Sie kalkulierte die Lichtverhältnisse, verlangsamte ihre Geschwindigkeit, brachte sich so in Position, dass sie den grellen Lichtpunkt, zu dem der Sonnenball geschrumpft war, genau im Rücken hatte. Dann passierte, worauf sie gewartet hatte.

Das Bahnhofsviertel ist bekannt aus den Medien als besonders kriminell. Das schlimmste Viertel in der Hauptstadt des Verbechens. Bankfurt, Mainhatten, Krankfurt. Die Stadt, der Müll und der Tod. Fassbinder. Das ist Jahre her. Zur Zeit wird das Bahnhofsviertel mit millionenschweren Marketingmassnahmen aufgewertet. Quartier klingt allemal besser als Viertel. Die meisten Grundstücke im kleinsten Frankfurter Stadtteil sind Eigentum von Banken und einer Bevölkerungsgruppe. Spekulanten allesamt. In den alten Häusern befinden sich wunderschöne Wohnungen. Das heisst, die kann man renovieren und wunderschön gestalten. Und mit einem satten Profit verkaufen oder vermieten. Noch leben aber ganz durchschnittliche Menschen dort. Mit Sorgen und Nöten und all den kleinen Freuden, die wir auch kennen und manchmal teilen..

Mike! Mach los, du hast noch ´ne Extratour gekriegt. Mike machte sich auf den Weg zur Rampe, begutachtete den Lieferschein, suchte die ganue Adresse und nickte.Wenn er geschickt Umwege fuhr und entsprechend mit dem Gaspedal spielte, konnte er eine volle Überstunde rauskitzeln.

Kriminalromane gehören nicht zu meiner bevorzugten literarischen Gattung. Klar, ich habe manches gelesen von Wallace, Chandler, Hammett, Patricia Highsmith, Ambler,  Agatha Christie oder Simenon. Unterhaltung während einer längeren Bahnfahrt oder im Urlaub. Ein Vergnügen, das mich nicht zu Recherchen herausfordert. Mike könnte man einen Luftikus nennen, aber einen mit einem guten Herzen, der nette Loser von nebenan. Essensausfahrer für eine Grossküche. Nika ist auf Trebe und fährt schwarz in seinem Lieferwagen. Sie lernen sich kennen als Mike eine Kurve zu scharf nimmt und der Kübel mit dem Grossküchenfrass umkippt.
Mike hat eine Mansardenwohnung im Bahnhofsviertel. Er nimmt Nika mit. Macht sie mit den anderen Bewohnern der Hausgemeinschaft bekannt. Schräge Vögel auf den ersten Blick. Gutherzig, weil allen schon mal die Flügel gestutzt worden sind. Nika hat einen Plan. Der ist allerdings eine Nummer zu gross für sie. Interesse haben die anderen schon, Aishe und auch die beiden Freundinnen K1 und K2. Und der überaus schweigsame Herr Daimler wünscht sich sehnlichst, seine Kunst mit dem Skalpell wieder einmal auszuführen. 

Wenige Sekunden brauchte es nur, in denen der Vogel mit gespreizten Schwingen auf ihn zukam, in denen ihrer beider Blicke sich trafen. Mike glaubte für einen Moment die Schärfe dieser Augen zu spüren.
Nika verschweigt den anderen Bewohnern, dass jemand hinter ihr her ist. Ausserdem hat sie keine Ahnung wie gefährlich ihr Spiel ist. Und so gerät die Hausgemeinschaft ins Blickfeld eines unberechenbaren Gewalttäters.

Das und die Wucht des Aufpralls genügten. Die Taube war augenblicklich tot, ihre Wirbelsäule zerschmettert. Der verdrehte Körper überschlug sich mehrmals im Flug, Federn stiebten, kleine Blutstropfen verteilten sich in der Luft, während das Peregrinweibchen eine steile Aufwärtskurve flog, dann eine enge Wendung vollführte, sich abwärts schraubte, um die leblos dem Erdboden entgegenstürzende Taube zu unterfliegen und sie mit einem zielsicheren Griff aus der Luft zu picken. So jagen Falken.

Rolf Silber: Beutemacher. Eichborn, 1998. 292 Seiten.

                         Ärmelprädikat: Unbedingt lesen ! (Foto anklicken für weitere Frankfurter Krimis)

31 Gedanken zu „Vögel überm Quartier

  1. Ich verkneife mir an dieser Stelle die lipperlandische Wetterlage zu beschreiben, nur soviel: Das Floravelo scharrt schon mit den Pneus zur Außerhausverblumigung und natürlch dem Hingesause gen Floratelier…
    Der Vorteil der Verregnung des Bembellandes ist natürlich die daraus resultierende Famosbuchempfehlung, sowie seekranke Muggenweiterempfehlung. Dass beides fetzt, erwähne ich nur zu gerne.
    Herzliche Grüße, immer die Ihre, vorapriligfiebrig.

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    • Das hiesige Wetter . . aber das habe ich gerade eben dem geschätzten Herrn Zeilentiger geschrieben.
      Wenn Sie, meine hochwertgeschätzte Frau Knobloch, die Güte hätten und den entsprechenden Kommentar darunter zur Kenntnis nehmen wollten.
      Frühlingsdämmergrüsse aus dem ausruhenden Bembelland sende ich auch Ihnen sie stets, Ihr Herr Ärmel

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  2. Und wieder ein Hoch auf den musikalischen Geschmack des Herrn Pappenheimer. Seasick Steve war übrigens lange ein Hobo, ein echter – um den Bogen zu schlagen.

    Hier lugt die Sonnen inzwischen wieder hinterm Grau hervor. Ich hoffe, bei Ihnen auch – uns sei’s nur im Herzen

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  3. Die Leseidee werde ich maliziös an meine Kriminalsister vermitteln!
    Eine treuherzig maliziöse Frage entstund in mir: ob denn das Stutzen der Flügel in aller Regel Gutherzigkeit zur Folge habe…?
    Gruß aus dem maliziösen Rauhharrgarten im RHH-Paradies

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    • Mag sein, dass Gutherzigkeit nicht so treffend gewählt war. Verständnis für die Eigenarten anderer schräger Vögel träfe es wohl besser.
      Schönen Dank für die Nachfrage.
      Frühlingsdämmergrüsse aus dem ausruhenden Bembelland

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  4. Im Gegensatz zu Ihnen, geschätzter Herr Ärmel, gehören für mich Kriminalromane durchaus zu einer mir sehr beliebten Literaturgattung … und von daher bin ich für diesen Rolf Silber Tipp mehr als dankbar, denn heimische Kriminalliteratur interessiert mich geradezu brennend.
    Skelter“ (Eichborn Verlag, 1993) hat er – zumindest für mich – DIE Posse schlechthin auf jene Jahre, die mich doch sehr geprägt haben (also das Jahr 1970 und ff.) geschrieben: Im Klappentext heißt es dann auch sehr zutreffend: „Nicht nur die Generation, die in studenten bewegten Zeiten ihren Weg ins Leben sucht, wird sich in diesem ironisch funkelnden Entwicklungsroman amüsiert wiederfinden“ …

    Vielleicht sollte ich diesen Roman in Form des klassischen Fortsetzungsromans deutscher Zeitschriften der 50er Jahre mal auf meinem blog präsentieren.

    Ein weiterer Silbrling befindet sich in meiner Bibliothek: „Das Leben“ (Eichborn, 2001), auch gut, wenn auch nicht so überzeugend wie „Helter Skelter“ …

    Und den von Ihnen empfohlenen Frankfurt-Krimi habe ich schon geordert …

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  5. Hmmmm, ich lese ja nicht einmal Hamburger Krimis (es sei denn sie sind von Frank Schulz)… geschweige denn irgendwelche anderen. Die Textbeispiele lesen sich allerdings sehr gut, das könnte mir gefallen.

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  6. Sehr geehrter Herr Ärmel, ich bin erst mitten drin, muss mich aber jetzt schon äußern und zwar dankend für dem Tipp. Bin gerade an der Stelle, wo sich der Ex-Taxidermist (ich kannte diesen Ausdruck auch nicht) kühlen Kopfes der Leiche annimmt. Immerzu muss ich grinsen beim lesen und komme der Spannung wegen meinen häuslichen Pflichten nicht ausreichend nach. Aber das kontrolliert ja keiner…Die einzige wirklich wichtige Pflicht ist das Gießen heute Abend. Bis dahin habe ich das Buch wahrscheinlich aus. Mit den besten Grüßen einer verwöhnten Krimi-Freundin

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