Vorbereitungen (eine Annäherung)

Czerwone Gitary – 2 (1967), auch gerne als die polnischen Beatles bezeichnet, lernte ich defintiv zu spät kennen; die Zeiten sind vorüber. Das von der Kritik hochgelobte 1999er Album „…jeszcze gra muzyka“ der Band passte mit seinen leichten Rhythmen nicht so recht zur bevorstehenden Reise. Ich stellte nach altbewährter Manier einen eigenen Mix für lange Autofahrten zusammen…

Meine Träume wechselten.Prüfungen einer Person, die ich nicht kannte., verloren in einem Labyrinth aus Gängen, die gesäumt wurden von gewlaltigen Aktenschränken aus dem Film »Brazil«. (99)
Die Vorarbeiten sind diesmal umfangreicher als gewöhnlich, sollen mit deser Reise doch ganz unterschiedliche Zwecke und Ziele verbunden werden. Im Vordergrund steht die Erkundung von Orten, an denen Vorfahren gelebt hatten. Das setzt gründliche Recherchen voraus, denn durch historische Zeitläufe sind viele Spuren im Lauf der Jahrzehnte bereits verweht.
Ein glücklicher Umstand ermöglicht ein Zeitzeugengespräch mit einem Kenner des Landkreises, den wir besuchen werden. Das ergänzt die eigenen zur Verfügung stehenden Quellen aus erster Hand, genealogische Aufzeichnungen, persönliche Erinnerungen in Form von Briefen und Tagebucheintragungen.
Andererseits trübt der durchgehend emotional verfärbte Umgang mit dem Thema die faktische Zuverlässigkeit der Informationen. Viel Politik war und ist auch heute noch im Spiel. Dies ist vor allem auffällig, wenn man sich durch Literatur und Dokumentarfilme vorab kundig macht.
Kenntnisse der Expansion des Ordensrittertums, (ost-)preussische Geschichte, und schliesslich einiges zum Ersten und Zweiten Weltkrieg sollen helfen, zu begreifen was uns begegnen wird.

Andererseits spornt es die Suche nach den Fakten an und ich kann meine eigene Geschmeidigkeit im Umgang mit Vorstellungen und Vorurteilen prüfen. Erstens kenne ich die oft unseligen Vorgänge um Flucht und Vertreibung nicht durch verwandtschaftliche Beziehungen, zweitens ist durch meine Herkunft und die mediale Berichterstattung der Blick nach Osten ohnehin eingeschränkt und drittens sind die Zuschreibungen zur Mentalität der polnischen Bevölkerung noch immer weit verbreitet.
Als Kinder sangen wir das alte Handwerkerlied mit glockenhellen Stimmen aber ohne jegliches Wissen:

„Drum Schifflein Schifflein, du musst dich wenden,
Du musst den Bug nach Riga lenken,
Wohl in die russische Kaufhandelsstadt.
Denn bei den Polen ist nichts zu holen,
Und was sie haben…“ und so weiter, alles wie wir es gelernt haben.
Das lebt weiter und hält sich hartnäckig, wenn es durch Bilder und Berichte immer wieder befeuert wird. Die stereotypen Fragen einiger Zeitgenossen mit gefurchter Stirn hinsichtlich des Reiseziels haben mir immerhin geholfen, auf deren Ignoranz fürderhin nicht mehr zu reagieren.

Unter historischen Gesichtspunkten kann eine erste Reise nach Polen und besonders in die Woiwodschaft Ermland-Masuren (das entspricht in etwa dem ehemaligen Gebiet Ostpreussens) allenfalls eine Annäherung sein.

Das Reisegepäck war rasch zusammengestellt, aber Ich musste mich noch immer entscheiden, welche Bücher ich mitnehmen würde (223).
Aus der Leihbücherei habe ich drei Reiseführer im Gepäck. Polen, Masurische Seen und Polnische Ostseeküste. Dazu zwei Strassenkarten, die bereits einige Jahre alt sind, denn auf das Navigationsgerät alleine will ich mich nicht mehr verlassen nach den Erfahrungen in Südosteuropa. Dazu kommen zwei Meyers Reisebücher, die auch heute oft hilfreiche Hinweise bieten. Ostpreussen, Danzig, Memelgebiet (1936²) und Rügen und die pommersche Küste (1924²). Und zur privaten Leküre das neueste Werk von  Patti Smith – M Train (2016). Daraus sind die kursiv gesetzten Zitate mit den entsprechenden Seitenangaben.

Zu guter Letzt sollen auch einige Tage der Erholung und Entspannung möglich sein, denn es werden viele Kilometer zurückzulegen sein. Dafür sind entsprechende Unterkünfte in angenehmem Ambiente vorausgewählt, die Entscheidungen erfolgen dann spontan.

Die Reiseroute verläuft mit dem Auto über Berlin nach Warschau. Dort wird sich die kleine Reisegruppe treffen. Nach einer kurzen Besichtigung in Warschau werden wir zwei, drei Tage im Gebiet der masurischen Seen auf Spurensuche gehen.
„Hat der Russe ja alles weggeputzt, 45“, habe ich noch im Hinterkopf. Wir werden sehen, was wir finden werden.
Danach sind einige Ruhetage mit kurzen Ausflügen geplant. Alles weitere soll dann vor Ort entschieden werden. Mein persönlicher grosser Wunsch ist es, die Wydma Łącka (Lontzkedüne), die grösste Düne Europas zu sehen.

Am Donnerstag im Lauf des Vormittags starte ich den Wagen und fahre los, um in den kommenden Tagen viel Neues zu lernen und entdecken. In den kommenden Berichten werde ich einige Fotografien präsentieren, die ich während der Reise aufgenommen habe.

 

27 Gedanken zu „Vorbereitungen (eine Annäherung)

  1. Schön, dass Sie wieder da sind ! Und mit einem feinsandigen Dünenfoto im Gepäck. Ich bin schon sehr gespannt auf Geschichten aus einer Gegend von der ich so gut wie nichts weiß und auf Impressionen aus dem heutigen Polen, das gerade ein recht unangenehmer Aufenthaltsort sein dürfte

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  2. Ein seltsames Gefühl von nicht gekannter Heimat überkommt moch beim Lesen Igres Artikels leiber Herr Ärmel. Ich werde mich irgendwann auf due Suche nach den Wurzeln unserer Familie machen. Damals existierte Pommern erst 30 Jahre. Für die Dünenbesichtigung wünsche ich Erfolg und Freude und eine Fotografie für uns. Ich wünsche einen schönen Sonntagabend.

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    • Ich danke Ihnen für Ihren freundlichen Kommentar, lieber Herr von Rosen, und lege Ihnen eine solche Reise dringend ans Herz. Auch als Wurzeltourist – und wir waren teilweise ja auch welche – gibt es viel zu erfahren und zu lernen. Von der einzigartigen Schönheit der Landschaft garnicht zu reden. Wenn Pommern erst seit dreissig Jahren bestand, reden wir also vom hohen Mittelalter? Oder meinten Sie die Provinz Pommern im 19. Jahrhundert?

      Die Düne habe ich besichtigt und werde diese einmalige Sandlandschaft in hoffentlich nicht allzuferner Zukunft genauer kennenlernen. Mit dem grossen Geraffelbesteck im Gepäck versteht sich. Erste Fotografien habe ich dennoch gemacht und Sie werden demnächst einige zu sehen bekommen.
      Abendschöne Grüsse ins Mittelbembelland,
      Herr Ärmel

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  3. Lieber Herr Ärmel, auch ich bin aufgewachsen mit einem Lied, das wir alle gerne und laut sangen (und hat nicht auch Heino?) : „In einem Polenstädtchen, da lebte einst ein Mädchen…“und dessen Unsäglichkeit mir erst Jahrzehnte später klar wurde. Es ist mir bis heute ein Rätsel, warum mein Vater, der sonst ziemlich vorurteilsfrei war, ausgerechnet so eine Abneigung gegen Polen hatte, auf meine Fragen gab es keinerlei begründende Antworten, nur eine Aufzählung angeblicher Charaktermängel eines gesamten Volkes! Unglaublich, aber leider weitverbreitet und mir unbegreiflich! Warte schon sehr gespannt auf weitere persönliche Eindrücke, endlich mal von einem mir sehr glaubhaften Menschen aus dem Hier und Dort und Heute, der mit Herz und Verstand reist! Und bei diesem Foto, da habe ich nur noch Ehrfurcht vor der Schöpfung!

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    • Von Heino und dem Mädchen in einer polnischen Kleinstadt ist es garnicht weit zu seiner Kollegin Vicky Leandros. Die wollte seinerzeit mit einem gewissen Theo nach Lodz fahren.
      Ich stelle mir die Kaltschnäuzigkeit vor, einen bekannten österreichischen Kriegsschlager des Jahres 1915 für das deutsche Schlagerpublikum des Jahres 1974 umzubügeln: „Rosa, wir fahr’n nach Lodz“
      Wobei jene Rosa, die da besungen wird, keine Frau sondern ein schweres Artilleriegeschütz war.

      Der Franzl hat a neue Braut seit er beim Militär ist,
      die ist ganz tadellos gebaut, wenn s auch a bissen schwer ist.
      Sie stammt zwar nicht von Doda, sie stammt vielmehr von Skoda.
      Die Taille dieser Nymphe ist netto Dreißig-fünfe.

      Lang hat der Franzl nachgedacht, wohin die Hochzeitareis‘ er macht,
      da plötzlich kam das Kriegsgebraus und Franzl rief begeistert aus:
      Rosa, wir fahr’n nach Lodz.
      Der Hötzendorf, der fahrt bald hin, es geht direkt der Zug von Wien.
      Rosa, wir fahr’n nach Lodz.

      Diese Version war in der Fernsehserie Die Abenteuer des braven Soldaten Schweijk zu hören Anfang der 1970er Jahre.

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  4. Wie das Leben so spielt: Hab ich doch heute das Kapitel über das historische Litauen begonnen zu lesen. Erschienen in dem imho hervorragenden Buch „Verschwundene Reiche“ von Norman Davies. Auch um die Prussen geht es darin, die Sudauer und wie alle diese Völkerschaften geheissen haben. Ein höchst komplexes Gemisch von Balten, Slawen, Finnen und Deutschen ist da gesessen. Und genauso komplex und unterschiedlich die jeweils von der Herkunft geprägten Anschauungen der Geschichte von diesem Winkel der Welt.
    Was Polen betrifft, da ist bei mir ein weisser Fleck. Ein bisschen Piasten, Jagellionen, Jan Sobieski und der Kahle Berg oder August der Starke, das war’s dann schon mal in der ferneren Vergangenheit.
    Bin ich mal gespannt auf die Ärmelschen Erkenntnisse aus den Masuren und auf die Bilder ….

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    • Bei Davies muss man hinsichtlich seiner Sichtweise auf bestimmte Aspekte der Geschichte Polens vorsichtig sein, das muss man bei Historikern allerdings immer. Schliesslich finden Historiker immer, was ihre Thesen stützt 😉
      Aber ist sein Werk „Im Herzen Europas. Geschichte Polens“ (C.H. Beck, München 2006) werde ich lesen, um das Land, seine Geschichte, Kultur und Mentalität besser zu verstehen.

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  5. Die „Roten Gitarren“, die „polnischen Beatles“ – die Mär hält sich also weiterhin. Hier spricht davon ja keiner mehr, weil’s auch niemand mehr hört: „So Hoch so hoch auf dem Dach dieser Welt…“ – naja, seit ende der 70er waren das Weichspüler, die aussahen wie die Flippers und eine Musik fabrizierten, die sich anhörte wie „I’m down“ von den Hollies in Endlosschleife, mal polnisch, mal deutsch – im Täterä-Rundfunk. Für ne Polen-Tour wäre SBB die bessere Band gewesen. Oder, wenn du’s aushälts Ceslaw Niemen – aber das ist Extrem-Prog bzw. Free-Fusion-Jazz.

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    • Ach ja, SBB…
      Und Ceslaw Niemen. Von dem hatte ich in den 70er Jahren einiges und fühlte mich selbst als progressiv.
      Alles masslos überbewertet von heute aus betrachtet.

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      • Nö. das find ich nun überhaupt nicht. Niemens Musik hat sich mir nie wirklich erschlossen, aber sein Anliegen und seine Künstlernamenwahl sind aller Ehren wert.
        SBB sind schlicht und einfach die Ost-Yes und somit die osteuropäische Klassik des 20. Jahrhunderts.

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  6. Habe erst die heutige, dann diese (gestrige) Post gelesen, daher mit schwarzen Gefühlen. Die Bilder der Wannsee-Villa – besonders auch das letzte – überlagerten sich mit den Vorbereitungen. Ich lese auch mit persönlich gefärbtem Interesse. Meine erste Reise, nachdem ich mit 57 den Führerschein gemacht hatte, ging im Jahr 2000 von Athen nach Usedom und Wollin – den Herkunftsorten von Vater und Großvater. Mein „deutsch-nationaler“ Opa wurde geboren auf Wollin, und der Opa eines israelischen Freundes wurde dort erschlagen.
    Die Vorurteile gegen Polen waren auch bei uns in Ost-Holstein gang und gäbe. Polacken nannte man die deutschen Vertriebenen, die bei uns in Baracken untergebracht wurden, Polnische Wirtschaft nannte unsere Mutter jegliche Unordnung (sie stammte aus Hannover), und meine Neigungen zu Chaos wurden mit dem väterlichen Erbe begründet. Die Folge: ich liebte schon früh alles Polnische, hielt ihre Freiheitsliebe für vorbildlich, bewunderte ihre Künstler, ihre Feinsinnigkeit, ihre Eleganz. Wenngleich ich nie dort war, habe ich hier (in Kalamata) zwei liebe polnische Freundinnen.
    Inzwischen ist mir das persönliche Wurzelsuchen nicht mehr wichtig. Doch die großen historischen Bilder aus persönlichen Reiseeindrücken zu entwickeln, wie Sie das machen, scheint mir weiterhin die beste Art, sich dem schwer Fassbaren zu nähern.

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    • Wollin, das wäre auch ein Ziel für mich. Von dort aus zieht sich der Sandstrand über 300 Kilometer weit nach Osten bis hin nach Danzig.
      Die üblichen Stereotypen wabern auch in meinem Kopf. Es werden durch eigene Anschauung aber weniger, wenn man sich mit den tatsachen bekannt macht. Meine eigenen werden ich den kommenden Berichten nicht verschweigen. Allerdings werde ich sie eher durch positive Seiten schildern.
      Mir war dieser Wurzeltourismus auch unbekannt. Deshalb bin ich froh, einen persönlichen Eindruck gewonnen zu haben. In jenen Gegenden sind viele Wurzeltouristen ganz unterschiedlicher Prägung unterwegs. Von einigen wird noch zu berichten sein.

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