Wurzeltouristen GmbH & Co. KG (eine Annäherung)

Während des Schreibens an diesem Artikel konnte ich keine Musik gebrauchen. Dafür jetzt, um den Kopf aufzuräumen:
Billy Cobham – Shabazz (1974)…

Der Himmel über Warschau ist grauwolkig am späten Vormittag. Über die Strasse 7 (E77) fahren wir nach Norden unserem nächsten Ziel entgegen. Die Überlandstrasse ist hervorragend ausgebaut, zudem sonntags sind kaum Lastkraftwagen unterwegs. Wir lassen Gewerbegebiete und Vorstädte hinter uns und fahren durch ein scheinbar grenzenloses, landwirtschaftlich genutztes Gebiet. Je weiter wir nach Norden fahren, treten die sanft gewellten Ausläufer der Endmoränenlandschaft deutlicher in Erscheinung. Die Wolkendecke beginnt aufzureissen. Viele fleissige Hände sind rührig auf den Erdbeerfeldern.
In Działdowo (Soldau) machen wir Station. Ein kleines Hotel gegenüber des alten Schlosses wird uns beherbergen. Działdowo liegt direkt an der ehemaligen Grenze zwischen Polen und Ostpreussen. Ein kleines, ruhiges Städtchen, das seine ehemalige Bedeutung als Grenzstadt verloren hat. Hier begegnen wir den ersten Wurzeltouristen. Die habe ich für mich so genannt, denn ihre Antriebe bestehen vornehmlich darin, den Entwurzelungen ihrer Herkunft nachzuspüren. Im weiteren Verlauf der Reise werden wir unterschiedliche Arten von Wurzeltouristen kennenlernen. 

Am nächsten Morgen brechen wir nach dem Frühstück auf zu dem kleinen Dorf, in dem die Vorfahren einiger Reiseteilnehmer bis zum 20. Januar 1945 ansässig waren.  Die Familie bewirtschaftete dort seit dem 19. Jahrhundert ein recht grosses Gut, das durch harte Arbeit und wirtschaftliches Geschick stetig ausgebaut werden konnte. Wir haben Lagepläne und alte Fotografien im Rucksack für die Spurensuche.
Fragen auf der kurzen Fahrt dorthin. Im Ohr klingen Sätze nach wie, dort werdet ihr nichts mehr finden; was der Russe mit dem Panzer nicht plattgefahren hat, das hat der danach der Pole…(alles, wie wir es gelernt haben).
Nicht nur viel Falsches haben wir gelernt, manches wurde garnicht erst vermittelt. Und an Aufklärung und der Korrektur des daraus resultierenden Halbwissens bestand zu keiner Zeit ein politisches Interesse. Und zwar von keiner Seite der beteiligten Akteure.
Seit Kindertagen im Ohr klingelt das Wort Rittergut, die Flüchtlinge aus Ostpreussen, das waren doch alles Rittergutsbesitzer.
Was hat es mit den landwirtschaftlichen Gütern auf sich? Woher kam eine Familie, die sich im 19. Jahrhundert im ostpreussischen ansiedelte? Welche Beweggründe mögen sie dahin  bewegt haben?
Sehr vereinfacht dargestellt, kann man folgendes sagen. Die wirklich grossen Güter bestanden bereits seit der kriegerischen Expansion und der Inbesitznahme dieses grossen Gebietes durch die Deutschordensritter. Denen folgten zur Besiedelung und Kultivierung des Bodens adlige Familien aus dem alten Reich. Sehr früh engagierte sich so beispielsweise die aus dem Westfälischen stammende Familie derer von Dönhoff. Diese Familien wohnten in Schlössern und erwarben im Lauf der Jahrhunderte unvorstellbar grosse Landbesitzungen.
Mit dem Niedergang des Deutschherrenordens und dem Aufstieg Preussens im 17. Jahrhundert zu einer vorerst noch regionalen Macht, fand eine gewisse Umstrukturierung der kleineren Ländereien statt. Zahlreiche Güter wurden eingerichtet. Diese Güter wurden meist an Offiziere der preussischen Armee vergeben. Güter als Belohnung für erworbene Verdienste etwa oder aus anderen Gründen. Die Motive dahinter waren schlicht militärischer Natur. Man ging davon aus, dass im Falle einer eventuellen Bedrohung durch nordische Mächte, Schweden und Dänemark waren mögliche potentielle Gegner, von diesen militärisch erfahrenen Rittergutsbesitzern aus, rasch eine Landwehr zu einer ersten Verteidigung aufgestellt werden könnte und man sich dadurch die Stationierung von Soldaten und den Bau von Kasernen, also hohe Kosten ersparen könnte.
Offensichtlich nicht hinreichend bedacht hatte man dabei, dass ein Militär eben kein Landwirt ist, der einen landwirtschaftlichen Betrieb angemessen führen kann. So verfielen im Lauf der Zeiten nicht wenige dieser Güter, die dann wieder in preussischen Besitz zurückgelangten. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts und der erfolgten dritten polnischen Teilung (1795) war Preussen zu einer europäischen Grossmacht aufgestiegen. Damals warb man Bauern an aus dem Reich mit allerlei Vergünstigungen, um diese brachen Güter erneut rentabel zu bewirtschaften. Um es zu nochmals zu betonen, ich skizziere hier nur grob für ein grundlegendes Verständnis der Entwicklung des ostpreussischen Gutswesens.
Auf diesem Weg nun kam die zur Rede stehende Familie um die Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem westlichen Pommern ins südliche Ostpreussen und verdoppelte dabei ihre Landfläche, die in den folgenden Jahrzehnten erweitert und kultiviert worden ist. Landwirtschaft, Viehzucht und eine grosse Alkoholbrennerei wurden stetig vergrössert.

Im Vorbeifahren scheinen mir die in der Sonne leuchtend gelben Felder merkwürdig unbekannt und wunderschön. Ich halte an, um ein Foto aufzunehmen und sehe, dass es sich um Wiesen handelt, auf denen der Löwenzahn in voller Blüte steht. Ein schwacher Nordostwind vermittelt den Eindruck eines endlosen federnden Löwenzahnteppichs.
Die schmale, langkurivge Landstrasse ist beiderseits von Bäumen gesäumt. Nach der nächsten leichten Erhöhung liegt das kleine Dörfchen geduckt in einer mässigen Senke. An der Ortseinfahrt links stehen das Pfarrhaus und schräg dahinter die kleine Kirche. Den Tiefpunkt der gerade verlaufenden Durchgangsstrasse bildet die kleine Brücke über einen Bach. Diese Strasse wird von zwei Querstrassen gekreuzt. Wie ehedem sind es Sandwege.
Wir halten an und steigen aus. Schauen uns zur Orientierung um. Machen erste Fotos und gehen in eine Seitenstrasse. Drei, vier kleine Bauernhöfe liegen auf der rechten Seite. Holzzäune. In einem Hof schnetternde Enten. Blühende Obstbäume. Ein Hund an der Kette bellt wachsam. Misthaufen. Ein Hauch von Nostalgie liegt in der Luft. Freilaufende Hühner. Von fern sirrt eine Kettensäge. Sonst herrscht Stille. Auf den Höfen wird gearbeitet. Köpfe in unsere Richtung werden gedreht. Unser dzień dobry (Guten Tag) wird nicht erwidert. Er wird bis auf eine Ausnahme nirgends hier erwidert werden. Wir gehen ans Ende der Strasse, die nahtlos zum Feldweg wird. In leichten Schwüngen dem Gelände angepasst verschwindet er in der Ferne zwischen einer Schneise aus Birken und Kiefern

In der zweiten Querstrasse lag das Anwesen der Familie. Wo einst die kleinen Häuser einiger Handwerker standen, befinden sich heute zwei Wohnblocks für die Mitarbeiter eines landwirtschaftlichen Grossbetriebs, der auf dem ehemaligen Gutshof errichtet worden ist. Wir versuchen die Lage der einstigen Gebäude zu eruieren. Nichts erinnert mehr an die damalige Gestaltung des Hofes und die Lage der Gebäude.
Ein Radlader mit Futtermittel kommt auf uns zu. Unser Gruss wird erwidert. Wir können uns leider nicht verständigen. Einige Worte Montenegrinisch helfen da auch nicht weiter. Wir schauen zu, wie vor den fetten schönen Kühen das Futter abgeladen wird. Schweigend gehen wir zurück. Jeder hängt in seinen eigenen Gedankennetzen.
Auf dem Weg zurück zum Auto sehen wir einen schmalen Pfad zwischen den beiden Querstrassen, der auf die Rückseite des Betriebes führt. Diese Scheune aus Ziegelstein da vorn, das ist noch eine von den alten. Dann könnte also… Und da erhebt sich der mächtige, gemauerte Schornstein der Brennerei. Ansonsten neuere Zweckbauten. Nichts bleibt und doch verschwindet nie alles.

Wir verlassen das Dorf auf der anderen Seite. Wollen sehen und nachempfinden, was die alte Frau aus ihrer Kindheit erzählte. Wie sie und ihre Geschwister winters mit dem Pferdeschlitten, eingehüllt in dicke Pelze, heisse Backsteine unter den Füssen zur Schule in der Kreisstadt kutschiert worden sind. Die langen Alleen und das weite Plateau, kaltweiss unterm bleigrauen Himmel.
Das war auch so eine Vorstellung. Städte, Kreisstädte gar.Grösse, reges Leben, geschäftige Betriebsamkeit.
Jetzt vor Ort und auch später als wir andere grössere Ansiedlungen sehen, wird uns klar, dass der Sitz der Verwaltung, einer Behörde oder eines Amtsgerichts auch ein Nest von fünftausend Seelen zu einer Stadt erheben kann. Dort war die Schule, hatte der Arzt seine Praxis und die Gastwirtschaft hatte einen Ausschank und einen Versammlungsraum.
Am wichtigsten jedoch dürfte der Bahnhof gewesen sein. Von hier aus wurden die landwirtschaftlichen Erzeugnisse in die Ferne verschickt. Und im Güterschuppen lag zur Abholung bereit das Paket mit den Glückseligkeiten, die auch im weiteren Umkreis nicht zu erwerben waren.

Während eines Informationsgesprächs vor der Reise erzählte man mir von Glocken. Eine Seitenlinie der Familie hatte das Patronat im Kirchspiel. Wir verlassen die Kreisstadt, wo wir noch die alte Schule sehen, in der die Kinder des Guts unterrichtet worden sind. Die Besichtung der imposanten Ordensburg schenken wir uns.
In dem kleinen Dorf unweit wollen wir versuchen, die Glocken zu sehen. In der kleinen Kirche wird ein Gottesdienst abgehalten. Also draussen warten. Am Ende fliegt der Priester geradezu davon. Ein junger Mann schwingt einen üppigen Schlüsselbund um die Tür zu verschliessen. Zum Glück versteht er englisch und er fragt eine Frau, ob sie wohl mit uns in den Turm steigen würde. Sie lächelt und sorgt für ein Licht. Über verschiedene alte, knarrende Holzstreppchen steigen wir höher und ganz oben hängen sie tatsächlich noch immer. Beschriftet mit den Namen der Patrone und einem Zitat aus der Bibel. Wir bedanken uns mit einer kleinen Spende und mit ein paar konstruierten Holpersätzen wird der freundlichen Frau nun auch unser Anliegen verständlich.

Wir fahren zurück nach Działdowo (Soldau) und freuen uns auf das Abendessen. Fische in vielen Variationen, schliesslich befinden wir uns bereits am Rand der masurischen Seenplatte. Ich entscheide mich dennoch für eine Ente, die in polnischen Restaurants auf fast jeder Speisekarte zu finden ist. Gänse dagegen werden eher in Pommern bevorzugt.
Wir begegnen dabei einem Mann, mit dem wir uns für ein Gespräch am nächsten Morgen verabreden.

                                                                  (Foto anklicken öffnet die Galerie zum gross gugge)

 

38 Gedanken zu „Wurzeltouristen GmbH & Co. KG (eine Annäherung)

    • Pssst – Um Himmels Willen, das ist beileibe kein Geschichtsunterricht – nur nicht weitersagen…
      Das ist die knappeste Form, einen Sachverhalt zu beleuchten, mehr aber auch nicht.
      Dennoch vielen Dank für das Fotolob!

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  1. Tja. Deutsche Glocke tief im Osten. Verwehte deutsche Spuren überall. Terra Atlantis. Als 12jähriger stand ich in der Slowakei in einer Kirche vor einem Altarbild: Ein Soldat mit deutschem Stahlhelm lag rücklings auf einem Opferstein und ein Engel breitete beide Arme aus:“ Ehrenvoll ist der Tod fürs Vaterland“ oder etwas ähnliches stand ringsrum. Ich war mir nur bewusst, dass wir gerade einen Tatraurlaub ganzweit hinten in der Tschechei machen. Also fragte ich „Wie kommt das denn hier her nach Kätschmarok?“
    „Käsmark hieß das zu Österreichs Zeiten und deutsch bewohnt wars bis 45.“ Da bekommst du einen ganz anderen Begriff für Weite , für Tragik … und mit 12 … wie müssen sich da erst die Indianer fühlen, denen nur noch Reservate blieben.

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    • Ich kann da ja nicht mitreden eigentlich. Westdeutsch sozialisiert, keine verwandtschaftlichen Beziehungen in nun nicht mehr deutsch besiedelte Gebiete. Vergleichsweise junge Eltern, die am Beginn ihrer beruflichen Laufbahnen gleich mal zum Lastenausgleich verpflichtet worden sind. Und dann die Sprüche, nicht nur von ihnen, sondern überhaupt rundum.
      Hier im alten Ortskern, noch die Reste von Vollerwerbsbauern, die ersten schon als angelernte Arbeite in den Fabriken rundum. Und dazwischen die Bauern aus Ostpreussen, die – wie auch immer – innerhalb von zehn, fünfzehn Jahren einen erfolgreichen Hof führten.
      Da klingeln mir noch Sprüche in den Ohren…
      Deshalb habe ich mich neben anderem auch auf diese Reise eingelassen. Den ganzen Dreck so weit wie möglich abzukratzen und mal zu sehen, welche Wirklichkeiten sich da auftun mögen…

      Klasse Kommentar von dir btw.

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  2. „Nichts bleibt und doch verschwindet nie alles“…ein weiser, sehr kluger Satz. Ich lese und lese, immer wieder und langsam werden aus Ahnungen konkrete Zusammenhänge, ich höre „Dönhof“, aha, Deutschritter, nur wenige erwidern den Gruß…ja, da fällt mir meine Reise als „Wurzeltouristin“ nach Karlsbad wieder ein und daß damals überhaupt niemand mit mir gesprochen hat, alle haben sich weggedreht…lettztendlich habe ich keine Spuren gefunden und bin gekränkt geflohen…jetzt ist klar, daß ich nochmal hin muß. Gute Berichte schreiben Sie hier, Herr Ärmel, die meinen Horizont erweitern und mich ganz sicher näher an bestimmte Wahrheiten bringen…das Wort „Lastenausgleich“…Existenzgrundlage meiner Eltern…ach, alles zieht Kreise und alles ist mit allem verbunden…haben Sie Dank!

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  3. Der Wurzeltourismus ist in den letzten Jahren ja zu einem glänzenden Geschäftsmodell geworden, meine Schwiegereltern wollten vor 10 Jahren auch noch mal „die alte Heimat“ wiedersehen, da gab es haufenweise Angebote inkl. Betreuung für die Leute, die nicht mehr ganz so gut zu Fuß waren. Ich hatte immer ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken, dass jetzt tausende von Erika Steinbachs durch „die besetzten Gebiete“ marodieren.
    Schöner Löwenzahnteppich (zur Ordensburg wäre ich zumindest mal hochgestiefelt, sieht von unten schon ziemlich imposant aus)

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    • Zum Wurzeltourismus werde ich noch etwas genauer schreiben. Ich finde wichtig, dass man da differenziert.
      Wer fährt mit welchen Motiven dahin, welche Altersgruppen, welche Erwartungen, was wird dabei gesprochen….
      Für mich wars trotz des winzigen Ausschnitts, den ich miterleben durfte, ziemlich erhellend.

      Ich war oben in der Ordensburg, leider war sowohl das Restaurant als auch das Museum geschlossen.
      Wie auch in anderen ehemaligen sozialistisch geprägten Ländern, haben sich offensichtlich die teilweise mehr als merkwürdigen Öffnungszeiten erhalten 😉

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  4. Lieber Herr Ärmel, ich kann die Geschichtsstunde nur bestätigen. Allerdings ließen wir unsere 12 Landgüter nicht verfallen, sondern ein besonders spielfreudiger Urahn verzockte die Ländereien in Casinos, die es tatsächlich schon lange gibt. Danach kommen wir ebenfalls zum preußischen Militär,welches uns über Kassel wieder zurück nach Berlin führte, bevor sich die Familie in alle Himmelsrichtungen zerstreute und ich in Marburg landete und ein schönes Schloss gibt es auch, welches der großzügige Napoleon etwa 1805 verschonte und nur die Wehranlagen schleifen ließ. Zu der Zeit waren wir aber noch wackere Preußen und wenig vom französischen Feldherrn angetan, aber das ist eine andere Geschichte 😉

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    • Auch Ihnen meinen Dank für Ihren Kommentar, lieber Herr von Rosen. Nachdem ich weiss, wielange Ihre Vorfahren auf ihren Ländereien sassen, war mir schon klar, dass verlotterte Güter nicht in die Kategorie passen würden.
      Gegen Kasinos hingegen und das satte Leben in der Nähe des prächtigen Hoflebens in der Hauptstadt hingegen, gab es keine Versicherung 😉

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  5. In dem Dörfchen in der „maessigen Senke“ stand das Pfarrhaus neben der kleinen Kirche. Waren das belebte Orte der katholischen Sorte?
    Das Wörtchen „Wurzeltourist“ ist gut erfunden, mir scheint es nicht eindeutig positiv. Ambivalent wie alles, beinahe alles. Der Reisebericht wirkt auf mich professionell, klasse gemacht – und doch nicht geeignet für ein Merian- oder Geo – oder sonstiges Reisemagazin- ne, überhaupt nicht.So manche Ihrer entdeckten Wahrheiten sind für die seichten medialen Orte echt unartig, zu kritisch, denke ich. Fundiert und richtig gut jedoch für Wurzeltouristenkinder- und Enkel. Diese alte Brennerei mit dem ollen Schornstein, das ist zum Inlöwenzahnwiesenwerfen, meine alte Tante vom Fernmelderamt in Sprottau würde Sie umhalsen, lebte sie noch!
    In diesem Sinne grüßt die, die schon mal in Tatranska Lomnica war – was GANZ woanders liegt und doch irgendwie…

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    • Ostpreussen waren in der überwiegenden Mehrzahl Protestanten bzw. Lutheraner. Die polnische Bevölkerung ist weitgehend katholisch.

      Welchen nicht ganz positiven Schein vermeinen Sie angesichts des Wortes Wurzeltourist denn zu sehen?

      Ihr Kompliment, was sage ich, Ihr Lob geht mir runter wie feinstes Olivenöl. Herzlichen Dank dafür.
      In diesem Sinne grüsse ich Sie herzlich von der Fähre (die in der Sonne liegt – Mittagspause)

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      • Die Olivenölfrau meint, dass das „Wurzel – “ nicht schlecht ist, doch sie mag die Touristen nicht, kennt vielleicht nur diese brüllenden, müllenden Massenfotohasen- mir hätte ein Wort wie „Wurzelsuchende“ oder so ähnlich besser gefallen. Aber es ist ja Ihres und kann bleiben.

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        • Oliven sind eine Qualität für sich~~~
          Touristen sind Menschen, die eine bestimmte Form des Reisens bervorzugen und die meinte ich. Und nicht negativ sondern deskriptiv.
          Suchende sind Menschen, die zwar ein Ziel haben, aber dennoch (im besten Fall jedenfalls) offen sind, dabei auch Neues zu entdecken.
          [Oh, dann wäre ich ja ein Wurzelsucher;;;]
          Mein Vorschlag um des Olivenöls wegen: Nennen Sie mich und betreffende Andere Wurzelsucher und die übrigen nenne ich weiterhin Wurzeltouristen 😉
          Sie sind mir aber auch eine Olivenölfrau… was wäre ich ohne Ihre listigen Kommentare?
          Mit einem sonnigen Gruss vom anderen Ufer (Die Fähre hat Feierabend)

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  6. Ein Gefühl der Beklommenheit macht sich breit. Die Sorge, ein unerwünschter Eindringling zu sein, befiel mich sogar, als ich nach langen Jahren vor meinem Geburtshaus stand. Das lag in Westdeutschland, keine Spur von Bertreibungsschicksal und Besetzungsfantasien – und doch: da wohnten jetzt andere Menschen, die „mein“ Zuhause umgekrempelt hatten, und die keine Ahnung davon hatten und auch durchaus nicht haben wollten, dass dieses Haus wie auch die ganze Siedlung von meinem Vater gebaut wurde, dass meine Mutter jeden Krümel des Gartens umgegraben und mühsam die allgegenwärtige Quecke entfernt hatte, dass wir in dem Kirchbaum, den es nicht mehr gab, mit den Amseln um die Wette Kirchen gegessen hatten, dass dahinten die Himbeersträucher gestanden hatten, die trotz der Maden sehr süß schmeckten, dass …dass … dass. Ich fühlte mich sehr fremd und ungeschützt und trat sehr leise auf, fotografierte heimlich, als wäre ich ein Einbrecher, der sich ein Bild von dem Objekt seiner Begierde machen will, und ging, da es niemanden zum Grüßen gab, benommen und beklommen und schließlich aufatmend davon.
    Spurensuche schmerzt. Die Erinnerung ist etwas sehr Innerliches und kann sich nicht an der Gegenwart messen.

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    • „Die Erinnerung ist etwas sehr Innerliches…“ Deswegen heisst das Substantiv wahrscheinlich auch Erinnerung. Es geht immer auch auf eine innere Reise.
      Interessant finde ich die Beschreibung Ihre Wahrnehmungen und Empfindungen als Erinnerungsreisende. Das ist eine Untergruppe der Wurzeltouristen (Tschuldigung, aber ich habs mit Listen und Tabellen um mich besser in der Welt zurechtzufinden)
      Es gibt da auch eine ganz andere Gruppe, die im rein Äusserlichen verbleiben, da erhebt sich beispielsweise die Frage nach den Empfindungen der Menschen in den Immobilien, die bereist werden von den Wur… Ach, darüber wollte ich ja auch noch schreiben…. 😉

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      • Danke, Herr Ärmel, für Ihre gar nicht nur philologische Anmerkung. Tatsächlich ist es etwas anderes, an einen erinnerten (inneren) Ort zurückzukehren als an einen familiär-legendären Ort zu reisen, den man nicht kennt, aber gern kennenlernen möchte. Insofern war mein Kommentar unpassend. Ich h a b e ja die Erinnerung in mir, ich suche sie nicht. Was suche ich also? Die unmittelbare Berührung, den sinnlichen Kontakt mit etwas, was mir sehr wichtig war. Das kann aber kaum gelingen. Vielmehr schiebt sich das Neue wie eine Folie über die erinnerten Bilder und verdirbt sie. Obgleich ich das wusste: Warum reiste ich dennoch dahin? Ist es eine Art innerer Zwang vergleichbar dem mancher Tiere, die enorme Wege zurücklegen, um an ihren Ursprungsort zurückzukehren? Und findet sich vielleicht auch in den Wurzelsuchern dieser Drang, der weniger im individuellen Bewusstsein als im tiefen Erinnerungsstrom der Generationen weitergetragen wird?
        Ich lebe in einem Land der Auswanderer und Vertriebenen (Griechenland) und begegne überall dieser tiefen Strömung einer maßlosen Sehnsucht nach „verlorenen Heimaten“. Odysseus ist, denke ich, der Archetyp dieser Sehnsucht. An ihm zeigt Homer: Um heimzukehren, musst du die Dimension wechseln (vergl. meinem Blogbeitrag „Die Heimkehr des Odysseus“).
        Ich hoffe, ich habe die Kommentarfunktion nicht missbraucht, sondern zum Thema geredet. Liebe Grüße aus Athen.

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        • Nein nein, keineswegs unpassend – würden wir sonst darüber schreiben?
          Ich danke Ihnen sehr für Ihren anregenden Kommentar!

          Wir alle tragen unsere Erinnerungen in uns und ich glaube, dass wir diese flüchtigen Imaginationen zeitweise gerne in der äusseren Welt wiedersehen und erleben möchten, wollen oder vielleicht sogar auch müssen.
          Ob das die Reise zu unseren lokalen Wurzeln ist; die Plattformen, um alte Klassenkameraden wiederzufinden, oder die Ü-40 (50,60,70?) Party – uns Menschen scheint eine innere Kraft anzutreiben, zur Suche nach „etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“ (Ernst Bloch – Das Prinzip Hoffnung)

          Herzliche Grüsse aus dem Bembelland

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    • Ja, Spurensuche schmerzt, ich danke Dir für diese Aussage, plötzlich fühle ich mich erkannt und wahrgenommen. Meine Suche ist inwendig, da sucht ein altes Kind in mir wohl immer noch die Mutter und als ich dorthin reiste an die Orte, von denen die Geschichten über die Urgroßeltern handelten, da war ich sehr verunsichert und traute mich nicht mehr zu fragen, weil ich auf große Ablehnung gestossen bin und habe alles dann verdrängt. Jetzt spüre ich eine große Sehnsucht nach Böhmen…ist es nicht merkwürdig, in Stellvertretung der so lang schon toten Mutter deren Heimat zu suchen? Immer öfter erfahre ich auch von anderen Menschen, daß auch noch die Nachfolgegeneration von den Verjagten eine Art Heimweh hat?

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    • Orrrrrr! Das ist ja ganz großartig auf dem Punkt. Bekannten von mir erging es ähnlich. Er und sie langjährige Freunde von mir: Sie wohnte 3 Häuser weit von meinen Eltern weg, aber sie waren 3 Kinder und keiner konnte keinen auszahlen – also wurde das Elternhaus verkauft – alle 3 Kinder wohnen nicht mehr am Ort und zumindest die eine reist nun ab und an mit ihrem Mann dorthin, um im Stillen das Haus, bzw. den Garten hinten vom Feldweg her zu fotografieren und die Veränderungen zu bilanzieren. Als sie es erzählte, beschlich mich die absolut elende Vorstellung, es könnte mir dereinst genauso gehen, wenn meine Eltern nicht mehr sind….

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      • Auch interessant und aufschlussreich. Ich vermute (ganz vorsichtig), dass diese Rückkehr zu den Elterhäusern oder besser vielleicht Häusern der Kindheit einen eigenen, ganzen Blog vertragen. Was da an Geschichten zusammenkommen mag.

        Das Haus glücklicher Kindheitserinnerungen (nicht mein Elternhaus!) befindet sich sich zwei Strassen weiter. Es gehörte meinem Grossvater. Darin war im EG eine Apotheke und die Apothekerfamilie wohnte im 2. OG. Nebenbei bemerkt lernte ich dort meine erste Fremdsprache – sächsisch 😉
        Das Haus ist seit langem verkauft. Der neue Eigentümer lud mich ein, um allerhand aus den alten Zeiten von mir zu erfahren. Bau des Hauses, Zerbombung die amerikanische Luftstreitkräfte, Wiederaufbau, spätere bauliche Veränderungen usw. usf.
        Die Mauer zum Nachbarn war merkwürdig entfernt. Wenn uns als Kindern der Ball darüberflog, zeigten sich die alten Damen im Nachbarhaus uns Kindern gegenüber abweisend und unfreundlich.
        Der neue Eigentümer unseres ehemaligen Haus fragte mir Löcher in den Bauch und beim Beantworten seiner Fragen liefen die alten Filme aus meinem Erinnerungskino wieder ab.
        Irgendwann fragte ich: warum haben Sie die Mauer zum Nachbarn abegrissen? Früher, die beiden alten Damen, die waren zu uns Kindern ganz speziell.
        „Ich habe die Mauer nicht abgerissen, das war der neue Eigentümer nebenan, der behauptet, meine Mauer stünde auf seinem Grundstück. Er hat sie vor einem halben Jahr abgerissen, als wir im Urlaub waren.“
        „Und nun?“, fragte ich.
        „Das wurde inzwischen alles neu vermessen und die Mauer stand auf meinem Grundstück. Er muss sie wieder aufbauen lassen.“
        Mit dieser Anekdote hatte ich nichts mehr mit dem Haus zu tun. Da wurde eine Akte gestempelt: Vorgang abgeschlossen.

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  7. Ein Thema. werter Herr Ärmel, das viele Menschen sehr beschäftigt und das sie ganz großartig aufbereitet ihrer Leserschaft vorlegen. Kompliment! Dabei muss ich im Moment darüber nachdenken, ob „Wurzel schlagen“ nicht sogar ein „Wurzel suchen“ abzulösen vermag? Oder, mit Verlaub, sogar – erlösen – ?

    Mit nachdenklichen und abendlich sommerhaften Grüßen aus (RB)-Leipzsch, Menachem

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    • Lieber Herr Menachem, ich danke Ihnen für diese tiefe Erweiterung.
      Die Erlösungswurzel – ein grosser Gedanke!
      Abendschöne Grüsse aus dem nachdenklichen Bembelland,
      Herr Ärmel

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  8. Man verliert sich so in Ihren Texten, als wenn man dabei war. Vielleicht kann ich es auch ein wenig nachempfinden, diese dem Forscherdrang entsprechende Reise. Holpersätze im Ausland, klasse.
    Ich versuchte mich mitunter mit kleinen Skizzen auf Rückseiten von Kassenzetteln zu verständigen. Da gibt es schöne Erinnerungen, besonders auf einsamen Bahnhöfen mit dem dort gelangweilten aber lustigen Personal. Ach ja.
    Und die Foddos, hach…
    Schöne Grüße aus der klaren Nacht.

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