Auch das Schlechte lässt sich weiter steigern

Wer weiss woran es liegen mag. Vielleicht weil man als Sehmann den Anfang des 121. Psalms kennen kann („Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher kommt mir Hilfe?“). Mag sein, dass der Auslöser ein Musikstück gewesen ist. David Bowie singt „This is not America“: Zu hören ist das Lied auf: Pat Metheny – Falcon and the Snowman (1985) …

Sicher ist dagegen, dass seit der Privatisierung der ehemaligen Deutschen Bundesbahn ein Netzwerk von Privatbahnen entstanden ist. Überaus wichtige Arbeitsplätze sind dadurch geschaffen worden. Für Geschäftsführer mit Firmenwagen, Marketingspezialisten und Softwarespieler. Das alles verschlingt viel Geld. Eines der Ziele scheint dabei die Abschaffung des Service zu sein. Zuspätkommen und Ausfallen von Zügen als letztes Abenteuer auf Reisen für weitgehend entrechtete Kunden und Passagiere.
Ich benutzte eine bestimmte Zugverbindung in diesem Jahr bereits mehrmals. Die private Zulieferbahn für den Intercity kommt dabei regelmässig zu spät.
Der freundliche Mitarbeiter im Reisezentrum der Bahn schreibt mir mein Ticket um. Regulär gebucht, ist diese aktualisierte Verbindung sechsmal teurer als meine ursprünglich gekaufte Fahrkarte. Und eine Stunde weniger dauert die Fahrt obendrein. So viel Glück verdient ein Bahnkunde nicht. Dass ich entgegen der Fahrtrichtung sitzen muss ist da nur ein gerechter Ausgleich. Dabei traue ich der Vorsehung mehr als den Rückblicken. Da beim letzten Umstieg die regionale Bahn heute wieder eine Verspätung von einer halben Stunde hat… Alles, wie wir Reisende es inzwischen still grollend hinnehmen. Aber ganz ehrlich. Wir alle wollen es doch so: immer mehr reisen für immer weniger Geld.

Aber was nutzen all diese Betrachtungen? Reisen mit der Bahn ist zu einem Lotteriespiel mit der Zeit verkommen. Gerade, ungerade, rot oder schwarz. Billigpreise und Verspätungen. Schienenroulette und Black Jack auf zugigen Bahnsteigen.
Verbesserungen im Service werden grossmäulig vollmundig versprochen. Damit ist beispielsweise die überflüssige App gemeint für die süchtigen Handfesselstreichler. Die daddeln derweil die aktuellen Beeinträchtigungen.
Besonders hilfreich finde ich die Ansage, auf welcher Seite in Fahrtrichtung sich der Ausstieg am nächsten Bahnhof befindet. Wie oft würde ich mich sonst vielleicht zwischen den beiden zur Auswahl stehenden Türen verlaufen.

Dabei fahre ich gerne mit dem Zug. Ich komme aus einer Eisenbahnerfamilie. Unter meinen männlichen Vorfahren waren Lokführer und Oberlokführer. Das ist jedoch lange her. Noch länger als die Zeiten, da man noch an interessanten Gesprächen teilnehmen konnte. Heute dagegen bedeutet Schweigen fast schon Reiseglück. Die wichtigtuerischen Handfesselschwätzer zählen auf Publikum im Grossraumwagen. Und muten einem dabei zu, was man lieber nicht hören möchte. .

                                                                      (Foto anklicken zur Grosssichtverbesserung)

36 Gedanken zu „Auch das Schlechte lässt sich weiter steigern

  1. *schmunzel* Handfesselstreichler und Handfesselschwätzer klingt kuul *g*

    Aber du hast recht, was einem von jenen Menschen in Bus und Bahn zugemutet wird, das ist einfach unerträglich!

    Liebe Dezembergrüße from me to you, Lu

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  2. Stimmt leider, werter Herr Ärmel, ich fahre ansich auch gerne Zug, hatte früher sogar oft tolle Gespräche dabei und es hatte wirklich was „Gemütliches“ – quasi 😉 aber heute ist das nicht mehr so, in Kürze komme ich mal wieder zu dem zweifelhaften Vergnügen…hoffe, es wird nicht allzu schlimm – aber über die Feiertage…schauen wir mal.
    Handfesselstreichler ist tatsächlich ein trefflicher Begriff…
    Sende wolkenverhangene Grüße aus der weißen Stadt an der Weser…

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    • Das allerschlimmste ist, dass dieser Satz auch noch stimmt. Andererseits zeigt er, dass die Konsumenten ihre Macht nicht nutzen und den Kauf eines Produktes oder einer Dienstleistung nicht verweigern. Also trägt nicht der IT-Spezialist die Verantwortung für die Verschlechterung sondern die Konsumenten.

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  3. Nicht nur die Privaten kommen ständig zu spät. Auch die DB, jedenfalls hier im Regionalverkehr. Und billig ist das keinesfalls. Allerdings weiß ich auch nicht, wozu ich hier Steckdosen brauche und Internetz. Da wünschte ich mir lieber eine Art Funkloch, um nicht anderen Pendlern ihre in Handys gebrüllten Rezepte und Beziehungskisten hören zu müssen, während ich krampfhaft versuche wach zu werden oder abzuschalten, je nachdem in welche Richtung der Pendel geht.
    Allerdings habe ich schon erfahren,wenn der Zug ganz viel Verspätung hat, überfüllt ist und gar zum Stillstand auf freier Strecke kommt, fördert das die Kommunikation ungemein und es ist ein bissl wie in alten Zeiten. Service ist ja dann und sowieso auch nicht

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  4. Zum Glück darf ich in meinem stillen Dörfchen sinnen, schlendern, dem Nachbarsechtgebrüll zuhören, leben wie ich will. Die Nacht zum Tage machen, das kommt auch ab und an vor, gehört aber nicht hierher. Solche Berichte lese und höre ich trotzdem interessiert an, denn beispielsweise einer wie Sie findet gute Klarworte ohne Dampflokumschweifkurverei. Heute konnte ich einen Blick in einen eilenden Schulbus werfen. Umwerfend, wie toll das Leben eines Schulbusfahrers geworden ist. Früher tobten sie drin rum, prügelten sich, rissen sich an den Haaren, waren auf jeden Fall unbeschreiblich laut, die Heimfahrkinder. Heute sah ich sie alle in ihren Sitzen hängen, mit verkabelten Ohren schweigend die Wischerei betreiben.-
    Leise Grüße aus dem Brüllwinzerländchen

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    • Ihr Kommentar hat mich sofort an vergangene Schulbusfahrten erinnert. Und den cholerischen Busfahrer. Anfangs hat er nur geschrieen. Dann hat er den Bus angehalten, lief durch und verteilte wahllos Ohrfeigen. Es war eine liebe Zeit, die gute alte Zeit.
      Aber jetzt isses noch schöner. Für mich jedenfalls, wenn ich Ihre Lobekommentare lesen darf.
      Wochenendlicherabendgruss von der leise schaukelnden Fähre

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    • Nicht weit weg von Ihnen lebte zeitweise der grosse kleine Mann Johann Gottfried Seume. Von ihm stammt der Satz: „Es würde alles besser gehen, wenn man mehr gehen würde.“
      Wochenendlicher Abendgruss,
      Herr Ärmel

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        • Von Grimma nach Syracus (auf Sizilien) und zurück nach Grimma. Zwischen dem 6. Dezember 1801 bis zum 28. August 1802. Der Rückweg führte über Paris, um Napoleon live zu erleben, wie wir heutigen es nennen würden. Knapp 6000 Kilometer, davon etwa 4500 zu Fuss.
          Morgengruss aus dem Bembelland,
          Herr Ärmel

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  5. „Besonders hilfreich finde ich die Ansage, auf welcher Seite in Fahrtrichtung sich der Ausstieg am nächsten Bahnhof befindet.“

    Ich vermute aufgrund der fortschreitenden Handfesselwischerei ist das inzwischen lebenswichtig. Wer weiß wie viele Leute ein Selfie vom Sturz auf das Nebengleis haben :D.
    Ob die Ansage von „links“ oder „rechts“ bei der fortschreitenden Verblödung unserer Gesellschaft tatsächlich hilfreich ist kann man natürlich anzweifeln, aber wenigstens hat man es versucht. Die vielen Warnhinweise auf Verpackungen und in Anleitungen kommen ja nicht von ungefähr, zumindest einer war vorher immer so blöd und hat das gemacht. Deswegen finde ich die Geschichte vom Hamster in der Mikrowelle auch so traurig 😉

    Und jammer mal nicht so über die Bahn, 296 km/h ey, das kriegste auf der Autobahn auch mit nem Mazorati nicht mehr hin. *gg*

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    • Auf den Gedanken der Orientierungslosigkeit wegen der unablässigen Fingerwischerei bin ich noch garnicht gekommen.
      Und die Geschichte vom Hamster und der Mikrowelle kenne ich auch nicht….
      Aber dafür bin 296 gefahren. Worden jedenfalls 🙂

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  6. O je, ja! ich meinte: Nein! O je, nein! oder vielmehr: Ja, es wird immer schlechter mit der Bahn. Hier . in Kalamata ist sie nur noch im Museum zu besichtigen. Sehen schön aus, die Loks und Wagen, bunt und vielgestaltig. Die Kinder mögen sie (ich auch). Als ich ein Kind war, gabs bei uns einen Bahnhof, der war sehr wichtig für mich, nicht nur atmosphärisch, aber das auch. Es war ein Sackbahnhof, die Gleise endeten dort. Dann wurde er kassiert. Busse waren wohl günstiger (die waren damals schon privat). Es ist ein Trauerspiel. 😦

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    • Ich schwinge in Ihrem Kommentar mit. Es ist ein Trauerspiel. Das Früher mit all seinen Funktionen taugt allenfalls noch fürs Museum…
      Es ist zum…

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  7. 16 Uhr 50 ab Paddington war der Start, wir sangen das Lied vom Tod nach dem Mord im Orientexpress und hatten 12 Stunden Angst. Schön war die Zeit, ich erinnere mich an ein Einsteigen in den Zug, der am weitesten fuhr, an der Nordsee stiegen wir aus und fuhren zurück nach Köln, um Fotos vom Mond über dem Dom zu machen, um sie als Liebesgrüße aus Moskau zu verkaufen. Der Film ging bei der Entwicklung verloren. Der einzige. Die Bilder im Kopf bleiben. Aber nicht wegen dem Nevada-Pass. Grillen war angesagt, zur besten Tatort-Zeit auf dem Bahnsteig. Wir fanden Gesprächspartner die uns zuerst argwöhnisch beäugten um dann von Ihrer Jugend zu erzählen. Damals. Als der Trans-Amerika-Express in den Bahnhof rauschte. Das kann in Stuttgart nicht mehr passieren, da wird er durchrauschen, wenn die Bremse aussteigt. Und nicht die Fahrgäste. Ja, und dann war da noch Der General, mit Live-Jazz-Begleitung. Mit dem Zug in den Süden Europas, der Umgang wird entspannter, Verständigung mit Strichzeichnungen. Gelangweilte Bahnbeamte die sich aus dem Reiseführer die übersetzten Sprachfetzen vorlesen und sich königlich freuen: Live-Theater auf dem Bahnsteig, zwei Schauspieler, zwei Zuschauer. Eine glückliche Zeit. Was bleibt, frage ich mich. Die schönen Dinge und das ist auch gut so.

    (Crippled Black Phoenix – I, Vigilante)

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    • Welch ein Vergnügen, mit Ihnen zu reisen, Herr Autopict, und auf Bahnhöfen Station zu machen. Das pralle Leben eben. Ich danke Ihnen für Ihren köstlichen Kommentar und möchte Ihnen ein feines Wochenende wünschen mit dem Motto von Henri Michaux, das einem Film vorangestellt ist, der ebenfalls mit einer Eisenbahnfahrt beginnt und mit einer Bootsfahrt endet: „Es empfiehlt sich, niemals mit einem toten Mann zu reisen.“

      (Neil Young – Dead Man (OSt)

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      • Da danke ich für den Tipp, den Film kenne ich (noch) nicht.
        Alles scheint so lange her, das neue ist so digital kalt, das alte so analog warm, aber früher war das alte eben auch mal neu, und das sehr alte nur alt. Subjektive Wahrnehmungen eben.
        Ein schönes 4-kerziges Wochenende wünsche ich. Auch bei 5 oder 6 km/h.

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        • Muss ich darauf hinweisen? Dead Man (1995) von Jim Jarmush. Mit Johnny Depp. Musik von Neil Young.
          Auch Ihnen ein ruhiges vierlichterndes Wochenende

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          • Huch 😬, da saß ich wohl sehr heftig auf der berühmten Leitung… trotz des nicht übersehbaren Hinweises am Ende des Kommentares… ich sollt vielleicht mit dem Glühwein etwas nachlassen…. tatsächlich hab ich den Film vor vielleicht 20 Jahren erst einmal gesehen… wär vielleicht mal wieder eine Wiederholung wert. Andererseits schau ich derzeit nicht mal mehr den Sonntagabendheimatfilm im Ährstn. Nun denn, der Tag ist noch jung!

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  8. Sieh da sieh da, Herr Ärmel!
    Ich habe Ihren Artikel und die Kommentare dazu gelesen.
    Ich bin geneigt, zu glauben, dass ich tatsächlich im Land der Dichter und Denker lebe.
    Vielen Dank

    Carlos

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  9. Zwohundertsechsundneunzig!? Zwohundertsechsundneunzig!? Zwohundertsechsundneunzig!?

    Und das zeigen die ihren Opfern auch noch an? Waum? Ey, wir sind zwar meist zu spät, aber das umso rasend schneller? Oder soll der Angstschweiß die Kälte des ewigen Rumlungerns auf eiskalten Bahnsteigen ausgleichen?

    Mein lieber Herr Ärmel, geben Sie bitte gut acht auf sich, bei derley rasenden Reisen. Söllten Sie mal die lipperländische Provinz beaugenscheinen wollen, empfehle ich zusätzliche Beschalung und ein feinwarmes Liebchen anzulegen, denn hier werden sogar die Wartehallen verschlossen um Abhärtungen zu vermitteln… Wie bitte? Ach, Leibchen natürlich. Leibchen.

    Leibliche, ächz, liebliche Grüße aus dem ansonsten heißblütigen Lipperlandien und natürlich langrockraffend zugeneigt, stets die Ihre Frau Knobloch.

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  10. zwoneunsechs kmh pro Stunde. Da müssen Eilexpresszeppeline sich ordentlich ins Zecuh legen, meine Höchstwertgeschätzte, um das Lipperland mit winterentsprechendem Schuhwerk zu versorgen. Welche Grössen werden eigentlich für Ziegenfüsse gerechnet? De Welt ist voller Wunder.
    Und mir ist es ein Wunder, wie ein Kind Ihrer Landschaft in jener vermaledeiten Landschaft überhaupt aushalten kann.
    Bis diese Frage mir erhellt wird, werde ich jedenfalls gut auf mich achtgeben. Ein Treffen mit Ihrer Holdheit würde ich keinenfalls aufs Spiel setzen wollen.
    Was Reisen in jene neblichtverregnete Landstriche betrifft, wird mir aus zuverlässigen Quellen berichtet, weder Liebchen noch Leibchen dortiger Provenienz zu trauen. Was sagen Sie dazu, meine liebe Frau Knobloch?
    Ihr Herr Ärmel, wie immer und allzeit bewundernd zugeneigt (abersowasvon)

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