Reduktionsvöllerei

Mein frühes Rock’n’Roll Idol hat das Zeitliche gesegnet. Chuck Berry 18.10.1926 – 18.3.2017. Hier läuft in Erinnerung an die Brilliant Peach Pomade und eine Schachtel Camel ohne, eingedreht im Ärmel eines T-Shirts:
Chuck Berry – The Chess Box (3CDs / 1988)…

In der letzten Woche beim Zwiebelschneiden abgerutscht. Ein tiefer Schnitt im linken Zeigefinger. Ich halte meine Messer stets scharf. Die erzwungen veränderte Handhaltung führte gestern zu einem nicht minder tiefen Schnitt in die linke Daumenkuppe. Den frischen Schnittlauch trifft keine Schuld. Abends beim Essen mit der kross gebackenen Kante eines Baguette ein leichter Schnitt in die Oberlippe.

Reduktion bedeutet nicht Weglassen oder abschneiden um jeden Preis. Wem nutzt die Blutpfütze wenn ein Finger fehlt?
Das Thema Fülle durch Reduktion beginnt auszuufern. Durch interessante Gespräche, Fragen, Anregungen und die Erfahrungen anderer Menschen. Wer reduziert was und warum. Krankheit oder materielle Engpässe fallen spontan ein. Die Gründe sind vielfältiger. Wer durch Schicksalsschläge zur Reduktion gezwungen ist, hat es ungleich schwerer. Dennoch ist es schwierig zu entscheiden, ob es leichter wird, wenn man aus freien Stücken reduziert. Bezieht sich Reduktion nur auf das materielle, konsumistische Verhalten? Welche Veränderungen von Reduktion werden im ideellen Kontext wahrnehmbar? Viele Fragen und noch mehr Aspekte. Aber darum geht es eigentlich garnicht.

Dieser Blog wurde angeregt durch einen befreundeten Blogger. Für Berichte und Fotografien aus einem anderen Land und Lebensumfeld. Zur Information und Unterhaltung im Familien- und Freundeskreis.  Durch die Rückkehr nach Deutschland war der ursprüngliche Sinn dieses Blogs somit erfüllt. Das Thema Fülle durch Reduktion sollte eine Art Abschluss werden, um danach etwas Neuem Platz zu machen.
Um den Besuchern und Lesern und mir langatmig graue Theorien zu ersparen – auch das ist eine Reduktion – werde ich diesen Blog weiterführen und in folgenden Berichten konkrete Beispiele zur Fülle durch Reduktion beschreiben. Wenn diese Beispiele für andere Menschen anregend oder gar motivierend wirken, oder sogar ein konstruktiver Austausch entsteht, würde ich mich glücklich schätzen. Der erste Bericht dazu wird gleich in der nächsten Woche folgen.

Ich wünsche allen Besuchern, Lesern und Guggern ein sonniges Frühlingswochenende.

(Fotografien illustrieren Gedanken, die ihrerseits wieder neue Gedanken erschaffen)

 

18 Gedanken zu „Reduktionsvöllerei

  1. Lieber Herr Ärmel, es gibt Phasen in der Küche, da ist immer ein Finger im Weg, irgendwie. Gut, ich schneide mich fast nie in der Küche und wenn, dann blutet es nicht mal. Dafür habe ich eine Neigung mich an Papier zu schneiden, dann aber richtig. Schnittfreie sonnige Grüße aus Marburg!

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    • Ihre schnittfreien Wunschgrüsse, lieber Herr von Rosen, nehme ich ebenso gerne wie unbeschnitten entgegen.
      Ich schneide mich höchst selten und entsprechend machten mich diese drei Ereignisse mich kurzzeitig nachdenklich.
      Ihnen frühlingssonnige Grüsse aus dem südlichen Bembelland,
      Herr Ärmel

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  2. Ich liebe Ihre Alltagsszenenfotos ! Besonders die rosa verhüllte Person mit dem kraushaarigen Pullover ist sehenswert. Ich habe mehrere Blicke gebraucht um die einzelnen Teile im Kopf zusammenzusetzen und zu ergründen wo der Arm herkommt 🙂
    Als Jugendliche dachte ich oft, dass die Generation meiner Eltern und Großeltern eigentlich ein besseres Leben hatte als meine eigene Generation, die alles hatte ohne sich dafür irgendwie anstrengen zu müssen. In den 40er, 50er, 60er Jahren dagegen konnte man sich über Dinge freuen, die mir selbstverständlich erschienen. Mir kam vor, dass die Freude umso größer sein müsste, je weniger man besaß. Später, als in an der Uni und am Arbeitsplatz Menschen kennenlernte, die in materiell sehr bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen waren, lernte ich, dass diese Freude an Wenigem auch in meiner Generation durch andere Lebensumstände als meine erzeugt wurde.
    Ich habe es nie gelernt, mich über notwendige materielle Güter besonders zu freuen. aber glücklicherweise erlebe ich diese Fülle um die es meiner Interpretation nach in Ihrem blog nun gehen soll, durch visuelles Erkennen von Schönheit. Ich muss das noch genauer betrachten, aber mir kommt vor, dass auch dies eine Form der Fülle durch Reduktion ist. Schönheit durch Reduktion, ich denke da zB an asiatische Kunst. Der eine Strich, der absolut reduziert und unglaublich schön ist …….

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    • Mir gefält Ihr Kommentar. Genau solche Fragen und Anmerkungen liessen das Thema gewissermassen ausufern.
      Die Freude an materiellen Dingen nimmt nach meiner Erfahrung mit deren Seltenheit zu. Man schätzt sie mehr. Aber nicht alle Menschen. Zur Freude muss man fähig sein. Mann muss sie erlernen. Wie so ziemlich alles im Leben.
      Ich habe das wohl früh erlernt. Wie oder wodurch ist mir noch immer nicht klar erklärlich.
      In jüngeren Jahren lebte ich aus Gründen materieller Möglichkeiten in pallem Überfluss. Damals habe ich die Freude an Kleinigkeiten verlernt. Aber nicht ganz offensichtlich. Sonst wäre mir derzeit nicht so wohl zumute in der (Über-)Fülle durch Reduktion.
      Einzelne Dinge wirken viel stärker. Die Wahrnehmung ist feinfühliger. Die Verlagerung vom Haben ins Sein, von der materiellen hin zur ideellen Seite lässt ungeahnte Harmonien im Befinden erklingen.

      Die Dame auf der dritten Fotografie. In ihrer opulenten Gestalt mit dem mächtigen Kopf einer gutmütigen Dogge wurde ihre Schönheit erst sichtbar, nachdem sie sich rosa beschleierte. Für mich wurde sie für einige Stunden zum Sinnbild der reisenden Masse. Gegen die ursprüngliche Bewegungsrichtung reisend und dabei die Sinnesorgane weitgehend heruntergeregelt….

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      • Die Verlagerung vom Haben ins Sein -schöner Ausdruck…
        Es stellt sich mir die Frage, ob dieser Zustand auch so genannt werden kann, wenn materielle Güter deswegen nicht wichtig sind, weil sie ausreichend vorhanden sind. Wenn also die Gewissheit besteht, dass alles Nötige (und Unnötige) jederzeit angeschafft oder ersetzt werden kann und dadurch der Fokus auf dem Bereich des Seins liegen kann.
        Mit anderen Worten, ich komme mir gelegentlich etwas unauthentisch vor, wenn ich sage, dass materielle Güter mir nicht wichtig sind, obwohl ich sie reichlich besitze bzw habe ich den Verdacht, dass viele Dinge für mich sehr an Bedeutung gewinnen würden, wenn ich sie nicht hätte…

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        • Ich verstehe Ihre Frage wahrscheinlich nicht richtig. Ich versuche dennoch eine Antwort.

          Unsere Aufmerksamkeit bzw. unsere Wahrnehmung ist normalerweise auf den Erwerb oder Besitz materieller Güter ausgerichtet.
          Verlagerung vom Haben ins Sein ist nicht von der Verfügbarkeit materieller Güter abhängig, sondern vom Bewusstsein an sich.
          Ich könnte mir schnell zehn gebrauchte Kameras kaufen – aber wofür?
          Ich könnte mir keine Phase One mit allem Zubehör für fünfzigtausend Taler leisten – na und?

          Authentisch ist man meiner Meinung nach, wenn man in seiner Mitte ist. Wenn also Haben und Sein irgendwie kongruent sind.
          Warum sagen Sie, dass Ihnen, zumindest teilweise, Ihre Besitztümer nicht eigentlich wichtig sind. Verkaufen oder verschenken Sie sie, dann werden Sie bestimmt wahrnehmen, wie es um Haben und Sein bestellt ist.
          Ich habe schon Dinge verkauft, weil sie mir unwichtig geworden sind. Vier Wochen später habe ich sie erneut gekauft, weil sie mir eben doch noch wichtig gewesen sind. Das sind doch die Prozesse, an denen wir lernen und uns weiterentwickeln. Unser Vorteile, dass ausreichend Waren verfügbar sind. In Südamerika habe ich manchmal ziemlich gelitten deswegen…

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          • Nein, nein, Sie haben mich schon richtig verstanden.Zumindest nicht schlechter als ich mich selbst verstehe 🙂 Ich bin auch mit Ihren Ausführungen einverstanden mit Ausnahme von:
            „Unsere Aufmerksamkeit bzw. unsere Wahrnehmung ist normalerweise auf den Erwerb oder Besitz materieller Güter ausgerichtet.“ Das trifft beispielsweise auf mich nicht zu und ich kenne auch jede Menge Leute, die nicht in diese Kategorie fallen. Natürlich auch viele andere bei denen dies sehr wohl zutrifft 😉
            Wahrscheinlich sind die Geisteszustände des Habens und Seins auch nicht konstant sondern wir verfallen manchmal in den einen und manchmal in den anderen. Um sich selbst zu situieren muss man dann halt einen „Mittelwert“ nehmen.
            Ich habe gerade den Preis der Phase One gegoogelt und bin einigermaßen erschüttert.Eine Kamera um diesen Preis fällt ja schon in den Bereich der Dekadenz. Sie mag viel besser sein als eine schon sehr, sehr gute um 2000, aber kann sie 25 mal besser sein ?!

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            • Der entscheidende Gedanke ist natürlich das In-Bewegung-Sein. Dadurch ist jeder Mensch ständig auf derr Suche nach seiner Mitte. Zumindest diejenigen, die das wollen.
              Wir sind also nicht so weit von einander entfernt bei diesem Thema.

              Phase One ist natürlich state-of-the-art. Wenn ich zu manchem Auftrag mit meinem handlichen Geraffel erscheine, erregt das hinundwieder sanftes Misstrauen. Wenig kann weniger scheinen da einige Auftraggeber zu denken…

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  3. Langatmige graue Theorien hätte ich überlesen, die blutigen Fingergeschichten dagegen nicht – und was es wohl mit der in einen Ärmel, lieber Herr Ärmel, eingedrehten Zigarettenschachtel auf sich hat?
    Reduktion betreibe ich noch im kleinen Rahmen, vielleicht ändert sich das früher oder später. Wegwerfextasen kommen auf zuhauf und immer häufiger. Was das noch wird?
    Die Fotos sind wie immer formidabel köstlich in ihrer Teilromantik. Hervorzuheben der rausschießende Kastanientrieb mit bisschen Dreck am Stecken (sicher gut duftende Frühlingserde in echt).
    Schnelle Heilung für die Wunden durch die scharfen Küchengeräte- und auch sonst Grüße aus dem sonnigen Frischwindrheinhessen

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  4. Die Schachtel Zigaretten? Damals bei den Rock’n’Rollern war das chic. Die hatten keinen Platz für die Glimmstengel in den engen Jeanshosentaschen. Also hat man die Schachtel aussen im Ärmel des T-Shirts eingerollt. Schauen im Bedarfsfall mal Filme wie z.B. American Grafitty an, da kann man das sehen.
    Wir als Zuspätgekommene haben kopierend unseren eigenen Rock’n’Roll gelebt. Enge Bluejeans, T-Shirts und die alte Musik. Als ich dann auf einem Dachboden dieses Glas Brilliant Peach Pomade gefunden hatte. Das war noch verschlossen. Beim Öffnen entsrömte dem Glas dieser famose Pfirsichduft. Da flog die Bürste für die langen Haare in die Ecke und ein Kamm steckte hinten rechts in der Hosentasche. Versteht sich.
    Long live Rock’n’Roll. Oder so.
    Nachmittagsgruss von der shakerattleandrollenden Fähre

    PS: die austreibende Kastanie liegt auf einem feuchten Moosbettchen.
    PPS: Wegwerfextasen – welch ein famoses Wort. Ich werds mir merken. Und sie fetzen in der Tat, die Wegwerfereien.
    PPPS: Ich danke selbstredend auch für die Heilungswünsche ~~~~

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  5. Passen Sie auf sich auf! Nun ist genug geschnitten worden. Jetzt bitte nur noch das Gemüse oder Obst. Ich bin froh, dass Sie weiterhin zu lesen sind und auch diesmal finde ich Ihre Bilder klasse. Sonnige Grüße aus dem Westen, Frau Maribey

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  6. Mein hochlieber Herr Ärmel,

    Ihre Ablichtereyen erzählen wieder ganze Romane für den, der’s zuläßt. Absonderliche Logenplätze oder das Leben in seiner Ursprünglichkeit; eines Sehmannes Auge blickt wahrlich genauer hin. Danke einmal mehr für das Mit-Teilen Ihrer Völlerey in der Reduktion.

    Tadeln muß ich Sie jedoch für Ihre Verschnippelung. Aus eigener schmerzhafter Erfahrung weiß ich um den Hergang solcher Einschnitte, es ist immer die Ungeduld und die Hibbeligkeit beim Agieren. Eine solche Häufung wie von Ihnen geschildert, herrjehmitmineh! Söllte Ihnen mal wieder Constanzen besänftigend die Kühlhand auf den eilig agierenden geventen Unterarm legen und flüsterstimmig auf die Kraft der Ruhe hinweisen, möglichst nahlauschlappig hauchend? Und bei der Lippenläsion, hülfe da womöglich eine sanftgediegene Zartverlippung, um das Pochen der Wunde zu mindern?

    Besorgte, aber stirnbodenküssendzugeneigte Grüße aus dem lieblichen Lipperlandien, immer die Ihre Frau Knobloch, nach Pflaster gruschtelnd.

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    • Meine allerhöchstwertgeschätzte Frau Knobloch, Ihre hymnischen Lobworte machen mich ein kleitzkleinwenig verlegen. Aber auch nicht mehr.
      Ich würde Ihnen die famosen Orte höchstgerne einmal persönlich vor Ihren Feinstgrünaugen präsentieren.

      Und Sie haben ja Recht, ich weiss ja, woher diese Verschnippeleien verursacht sind. Stünden Sie beim Zwiebelschneiden neben mir, ich fürchte, ich würde mich umständehalber filettieren.

      An pochvermindernde Zartverlippungen dachte ich noch garnicht. Tut auch derzeit nicht mehr Not. Hätten Sie denn da eventuell eine Adresse, wo ich mir im Bedarfsfalle derlei Hilfe angedeihen lassen könnte.

      Nehmen Sie mir meine Aufrichtigkeit jetzt bitte nicht übel, meine liebe Frau Knobloch, aber bei Ihre stirnbodenküssendzugeneigte Grüße liessen sogleich jenen Pillenpolenpapstpaule vor meinem inneren Auge wiederauferstehen. Sollten ich Sie dereinst im Bembelland willkommen heissen dürfen, dann bedarf es keiner Stirnbodenküssung.

      Höchstfrühlingssonnige Grüsse aus dem magisch leuchtenden Bembelland sendet Ihnen,
      Ihr Herr Ärmel (auch ohne päpstliche Benedeiung maximalpontifexisch zugeneigt)

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  7. Lieber Herr Ärmel, ich nehme den fabelhaften Stuhl auf ihrem ebensolchem Foto, setzte mich un die Sonne und höre Ihnen zu.
    Was habe ich dabei nicht schon alles gelernt!

    Frühlingsvolle Grüße

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    • Liebe Frau Arabella, ich fürchte Ihrem Wunsch widersprechen zu müssen. Das betrifft natürlich nur den Stuhl, der nämlich nicht in meinem Garten steht. Und für jenen Garten masse ich mir nicht an, ein Gastrecht auszusprechen… 😉
      Sonnige Grüsse aus dem Bembelland,
      Herr Ärmel

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  8. Lieber Herr Ärmel, auch ich freue mich, dass Sie hier weitermachen werden, das ist ein Versprechen auf weiterhin spannende Bilder und Worten, die zum Nachdenken und -spüren einladen.
    Ich werde nachher nach einem ausgiebigen Sonntagsspaziergang das Regal in meinem Rücken entleeren und immer gilt gerade die Frage: was kommt mit, was ins Feuer, was in den öffentlichen Bücherschrank, was auf den Müll, auf dass das Gepäck leichter wird. Reduktion kennt aber noch mehr Gesichter, als die der materiellen Dinge: Verlangsamung und Achtsamkeit gehören für mich ebenfalls dazu.
    Für die Schnitte sende ich Ihnen einen Heilesegen.
    Herzliche Sonntaggrüsse vom frühlingshaften Berg
    Ulli

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    • Ihren Heilesegen nehme ich gerne entgegen, das Heilen geht meinem Geduldspotential nämlich etwas zu langsam vonstatten 😉

      Verlangsamung und Achtsamkeit sind fast zwangsläufige Folgen im Prozess der Reduktion. Hier weniger, dort mehr.
      Sonnige Grüsse aus dem Bembelland,
      Herr Ärmel

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