Trotz Postillon und Libelle – die Lebensfreude wächst

Im Hintergrund leiert Jim Morrison seine drogenschwangeren Texte. Aber in diesen Zeiten ist mir wohler mit Polkaholix — Denkste ! (2002), The Great Polka Swindle (2007) und Rattenscharf (2013)…

Die tägliche Freude beim morgendlichen Gang durch den Garten. Vorsicht ist angesagt. Überall springen kleine Kröten. Deshalb bleiben der trotz der sommerlichen Wtterung die ebenerdigen Türen geschlossen. Der rote Lein leuchtet in der Morgensonne. In den gelben Taglilien baut eine Wespenspinne ihr Netz. Fast täglich sind neue Entdeckungen möglich. Erfreulich wenige spanische Nacktschnecken. Unerfreulich wenige Weinbergschnecken.
Am Wiesenrand liegt eine b
laugrüne Mosaikjungfer (Aeshna cyanea) mit gespreizten Flügeln. Wir vermuten eine Unterkühlung und setzen die Libelle behutsam auf einem Holzstoss in die wärmenden Sonnenstrahlen. Von der abendlichen Begegnung mit dem Igel finden wir keine Spuren.

Zwei Herzen schlagen in der Brust. Da überschneidet sich die Freude auf die wenigen freien Tage mit dem Verlassen des Gartenparadieses. Die Bahnfahrkarten liegen bereit. Der Koffer ist aufgeklappt. In Bohsdorf möchte ich den Laden besichtigen. Den hat Erwin Strittmatter in seiner Trilogie „Der Laden“ ausführlich beschrieben.
Es sind Jahre vergangen, seit ich zuletzt die privaten Wohnräume von Autoren besichtigt habe. Im Gespräch darüber erinnere ich viele Orte wieder. Immer wieder lustig ist die Anekdote, als ich auf Virginias Woolfs Bett sass.

Selbst in der Sonne verändert sich die Haltung der Libelle nicht. Lediglich die Tautröpfchen im zarten Flügelgespinst sind inzwischen verdunstet. Nach der Besichtigung des Ladens in Bohsdorf werden wir im naheliegenden Muskauer Park ein schönes Kleinod hinterlassen.

Seit Jahren beschäftige ich mich mit der Generation der zwischen 1920 und 1940 in Deutschland geborenen Menschen. Mit ihrer Kindheit und Jugend, ihrer seelischen Konfiguration und den damit einhergehenden Lebenseinstellungen und Verhaltensweisen. Mit ihren Werten und Gewohnheiten.
Letzthin habe ich mir den Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ angesehen. Diese Trilogie hat mich dermassen bewegt, dass ich mir selbst Abstand verordnete.
Ich entschloss mich, zur Abwechslung kurzfristig in einer Gartenwirtschaft zu arbeiten.  Es gibt für mich nichts Interessanteres als Menschen. In der Nachbarschaft hat der Hauseigentümer eine Frau untergebracht. Am Klingelschild steht der Name seines Sohnes. Der Kombi des Mannes steht gelegentlich vor dem Tor. Er wohnt hier nicht. Die Gerüchteglöckchen haben bisher zu keinem vollen Glockenschlag geführt. Die Fensterläden zur Strassenseite sind stets geschlossen. Zur Gartenseite ist spätabends Lichtschein zu sehen.

Gegen Mittag stand fest, dass die Libelle nicht wieder in ihr Leben zurückkehren würde. Sehr rasch verblassten ihre wunderschönen Farben. Kurz darauf konnte man eine Wespe bestaunen, welche der Libelle den Kopf leerte. Warum tun Wespen das? Warum verlieren tote Libellen in Stundenfrist ihre schillernde Farbe?
Wir wissen nichts. Das heisst, der Menschheit wird ständig neues Wissen mitgeteilt. Man forscht allerdings im Sinne des Konsums und des Wettbewerbs. Besonders des wirtschaftlichen Wettbewerbs. Aber die wirklichen Geheimnisse des Lebens sind auf diesem Weg nicht zu ergründen. Fünfzig Prozent der menschlichen Erfindungen bringen uns zeitweilig voran. Fragen nach dem Wohin werden weitgehend vermieden. Die anderen fünfzig Prozent der Erfindungen dienen der Zerstörung. Fast alle sogenannten menschlichen Fort-Schritte in den letzten Jahrhunderten zerstören unsere Lebensgrundlagen
.

Hey man, you sell me Greenland. I pay cash in Dollars, ya know. Do ya?
Vermessene Politiker allerorten. In England will einer die Opposition aus dem Parlament aussperren. Wer vom Wachstum spricht, glaubt, dass alles steigerbar ist.

Spätabends im Garten. Rascheln. Im Lichtkegel der Taschenlampe erscheint ein Igel. Eine Schrecksekunde auf beiden Seiten. Doch der Igel tapert unbeirrt weiter durchs dichte Grün. Das helle Knacken kurz darauf lässt auf ein splitterndes Schneckenhaus schliessen. Wir essen weder Weinbergschnecken noch Froschschenkel. Die Ernte im Garten fällt üppig aus. In einer Kleinanzeige finden wir einen gebrauchten Gefrierschrank für unsere Bedürfnisse.
Es gibt fast alles in gebrauchtem Zustand. Man muss nur warten können. Alle vierzehn Tage ist hier Sperrmüll. Zwei bis vier Wohnzimmer sind da jedesmal zu finden.
Selbstverständlich bewahren wir auch zu vorgeschrittener Stunde unsere Spontanität und Lebensfreude. Und so dürfen wir durchreisenden Bloggern für ein Weilchen unseren Garten als Ruhepause anbieten. Wir stellen in einem Gespräch erneut fest, dass keine noch so lebendig anmutende virtuelle Kommunikation reale menschliche Begegnungen ersetzen kann. Wahre Lebensfreude entsteht durch das Gespräch im Angesicht des Gegenübers.

Unterwegs auf der alten Landstrasse zwischen Bad Muskau und Görlitz. Heute ist das ein gut befahrbarer Feldweg. Freigegeben für den öffentlichen Verkehr. Ohne weitere Kennzeichnung. Ortsansässige benutzen diese Wege, um rascher von einem ins andere Dorf zu kommen. So dicht an der Neisse finden sich zahlreiche kleinere Kriegsgräberstätten. Da liegen die letzten Aufgebote, hinbefohlen um die „russischen Horden“ aufhaltend, das Reich zu retten.

Gedenksteine. „Hier wurden fünfundzwanzig Männer in den letzten Kriegstagen sinnlos geopfert.“ Ein Blick auf die Grabsteine zeigt, dass die meisten noch keine fünfundzwanzig Jahre alt geworden waren.

An einer Wegkreuzung steht ein Gedenkstein für einen Postillon. Er wurde von einem Mitreisenden ermordet.
Wir fragen uns, aus welchem Grund der Mord wohl geschah. Die Antwort kommt spontan: aus Habgier. Hier in Mitteleuropa werden derzeit keine Menschen geopfert. Es muss kein Blut fliessen. Wir alle opfern unsere Lebensgrundlagen für unser Wohlleben und unsere Bequemlichkeit.

Hallo?
Ich fahre wieder für drei Wochen in Urlaub. Da kann ich ja nun nicht mehr in Ihrem Hof parken. Naja, das ist auch nicht so schlimm. (Im Hof lagert Holz. Und überhaupt.)
Nein, das geht jetzt nicht mehr.
Wo kann ich denn dann  parken? (Jetzt sollen andere die Lösung anbieten).
Keine Ahnung, vielleicht hier in einer Seitenstrasse.
Ach, ich habe schon einige Mails an Ihre Gemeinde geschrieben. Aber ich habe keine Antwort bekommen. Ich will doch sichergehen, dass da während meines Urlaubs keine Baustelle eingerichtet wird und mein Auto vielleicht abgeschleppt wird.
Vielleicht suchen Sie sich anderweitig einen Parkplatz für die Zeit.
Aber das kostet ja Geld…..

Die Anruferin hat seit Jahren ein Verhältnis mit einem Wohnmobilenthusiasten. Der ist jedoch verheiratet. Und also soll niemand etwas erfahren. Beispielsweise wie die Frau ihr Bettzeug aus ihrem Wagen in den Campingwagen umlädt. Eine kleine schmierige Geschichte. Wie sie so oder so ähnlich alltäglich vorkommt. Natürlich gehen, dem Vorurteil zufolge, alle Männer fremd. Wer aber fragt nach den mit(fremd)gehenden Frauen.
Kriege beginnen immer im Kleinen. Wenn die nimmersatten Haie jedoch das grosse Geschäft wittern, beginnt das grosse Morden und Schlachten. Ich frage mich, welcher Landwirt seine heimische Wirtschaft gerne gegen einen Hof und Ländereien in der Ukraine getauscht hat. Damals. Als es gegen Russland ging.

Ich wünsche allen Besuchern, Lesern und Guggern friedliche Spätsommertage.

 


 

19 Gedanken zu „Trotz Postillon und Libelle – die Lebensfreude wächst

  1. Ja, warum ermordet jemand einen anderen? Heute hatte ich mit so einem Mord zu tun, der vom Großvater der Ratsuchenden begangen wurde. Ein schöner herrischer Mensch war er, Kartenspieler auch, der den eigenen Hof verspielte. Seine Frau nahm die drei Kinder und ging weg. Als er davon erfuhr (er war grad im Kaffeehaus beim Kartenspielen), machte er sich auf den Heimweg. Sein Kumpel, der ihn begleitete, spottete, wahrscheinlich sei seine Frau mit einem Liebhaber durchgebrannt.Daraufhin zog der wütende Mann sein Messer und erstach den Verleumder seiner Ehre. Die Witwe des Ermordeten aber sprach eine Fluch aus, offiziell in der Kirche, bei der Beerdigung. Sie verfluchte die Familie des Täters: „Tod für Tod“. All das ist lange her, aber es wirkt fort bis ins dritte und vierte Glied. .Daran musste ich denken, als ich den Stein für den ermordeten Postillion sah.
    Es tut gut, bei Ihnen zu lesen.

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    • Letztendlich bleiben uns doch nur zwei Möglichkeiten. Entweder ich nehme die Schönheiten um mich herum wahr und erstarke dadurch. Oder ich lasse mich auf all die Schlechtigkeiten ein und lasse mich dadurch in gruselige Tiefen hinabziehen.

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  2. Einen Moment innehalten. Vielleicht auch zwei. Lernen dabei, bestenfalls begreifen und verstehen. Wenn nicht sofort, dann eventuell später. Ihr Text läßt mich mäandern zwischen so diversen Gefühlen… und doch ankern Ihre Worte im Herzkopfbauchgeflecht. Die schöne Libelle dient als Nahrung, die stillen Grabsteine als Mahnung und Fremdgehen ist ohnehin ein Widerspruch für sich. Man kooperiert doch lieber unterseinesgleichen.

    Ich sende Ihnen verbindlich momentierende Grüße voller Freude über Angesichtsgespräche vielfältiger Art als die Immerihrige und mit natürlichen Rundkniegeknickse gleichnächst.
    Ihre Frau Knobloch, gartenglücklichglucksend zugeneigt.

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      • Da komme ich nicht umhin, Ihnen einen Jucheyjuchzer hier zu hinterlegen, liebe Marion. Mit der Bitte an den verärmelten Bloghüttenbesitzer diese Jubelruhestörung zu dulden. Es ist ein stillefeuversteckter Juchzer, kein Balkenverbieger oder Fensterklirrmacher…

        Von Herzen, Ihre Käthe Knobloch.

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    • Liebe höchstwertgeschätzte Frau Knobloch. Sie verstehen es, mit Ihren Kommentaren Herzensfreude zu entzünden. Sicherlich liegt es auch daran, wie Sie zu lesen verstehen.
      Es ist wunderbar und eine grosse Freude, mit Ihnen zu kommunizieren.

      Ich sende Ihnen spätsommerfarbige Grüsse vor azurnem Himmel und verbleibe wie stets als Ihr Herr Ärmel (selbstredend auch beim Verzehr eines leckeren Rosinenbrötchens aber sowas von zugeneigt)

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    • Ich habe gegrübelt. Zum Schluss entschied ich mich, Ihrer Bitte hier in der Kommentarspalte nicht nachzukommen.
      Es könnte sich jedoch fügen, dass ich mich zu einem entsprechenden Beitrag hinreissen lasse.
      Mittagsgruss von der poetischen Fähre

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