Gewinnverluste und Verlustgewinne

Horsche:  The Byrds – Turn!Turn!Turn! [1965]
Lesen: Bis auf weiteres keine Zeitungen
Essen & Trinken: Die erste hausgemachte Grie´Soss´ dieses Jahres, Kartoffeln, halbhartgekochte Eier. Apfelwein (sauergespritzt) aus der Kleinkelterei unserer Vertrauens.
Schaffe: Schutt (ja ja von der Bar) schleppen und den Garten einer alten Dame altersgerecht gestalten.
Gugge: Was wir heute wissen ist klein. Hier ist geht es um grosses Wissen: Doku auf arte.tv – Gotische Kathedralen.

Manchmal fliegen mich aus heiterem Himmel Gedanken und Erinnerungen an. Ich frage mich woher und warum. Es scheint aus jeglichem Zusammenhang gerissen; am Ende kann sich dennoch ein Bild daraus fügen.

Ein langes Wochenende im Jahr gab ihm seinen Namen. Kerweplatz. Am ersten Wochenende im September hatten die Schausteller dort ihre Geschäfte aufgebaut. Schiffschaukel, Kettenkarussell, Schiessbude, Losbude, AutoScooter und Süsswaren. Das übliche Programm einer Dorfkirmes. Jetzt fallen mir prompt einige Anekdoten ein. Aber darum geht es heute nicht.
Den Rest des Jahres nutzten Kinder den Platz für allerlei Spiele. Kleine Grüppchen spielten Fussball oder Murmeln. Ich war meistens bei den Murmelspielern. Klickerspiele. Wie ich drauf gekommen bin weiss ich nicht mehr.

Ich mag zehn oder elf Jahre alt gewesen sein. Da nahm ich mir einen Schuhkarton. An der Oberseite, wo Deckel liegt schnitt ich kleine Öffnungen aus. Drehte den Karton danach um und schrieb über die verschieden gross ausgeschnittenen Öffnungen Ziffern. Über das grösste Törchen eine eins, über das nächste, etwas kleinere eine zwei. Über dem fünften, dem kleinsten stand zehn. An einem Nachmittag stellte ich meinen Karton auf den Kerweplatz. Schon kam ein Junge und wollte wissen, was es damit auf sich habe.
Du zielst aus vier Metern Entfernung mit einem Klicker auf meinen Karton. Wenn du in eine Öffnung triffst, bekommst du so viele Klicker wie obendrüber steht.
Ich hatte einen ziemlich grossen roten Stoffbeutel für mein bescheidenes Häufchen Klicker. Doch schon am ersten Abend war der Beutel proppenvoll. Und zusätzlich auch noch die Taschen meiner Seppellederhose.
Ich habe damals nicht verstanden, was ich heute als Erfahrung intus habe. Manches in meinem Leben wäre anders verlaufen. Was mag aus meinem Klickerseckel, was aus der Unmenge meiner Glaskugeln dieses Sommers geworden sein?

Das mir wertvolle an diesem Erlebnis ist die Erinnerung daran. Erinnerungen und Erfahrungen sind für mich Lebenskräfte. Die guten Erinnerungen trösten. Die schlechten verblassen und spenden dabei Freude, denn die negativen Situationen habe ich überstanden. Und die Erfahrungen machen geistesgegenwärtiger im Umgang mit anderen Menschen.

Ich wünsche allen Besuchern und Lesern freudvolle Tage, denn bald werden wir wahrscheinlich in den gewohnten alltäglichen Irrsinn aus Lärm, Verkehrsstörungen, Konsumrausch und Stress zurückkehren.

 

 

 

8 Gedanken zu „Gewinnverluste und Verlustgewinne

  1. Ach, ja, grie Soss gab es bei uns heute auch, köstlich 😋

    Einen herzlichen Gruß in die nahe Parallelstrasse

    sendet Ellen Ribbe

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    • Ui, wieder hier . . . Da wäre ein ellenbogenbegrüssendes kleines Apfelweintreffen – open air sozusagen – durchaus möglich.

      Nicht minder herzliche Grüsse zurück in die südliche Parallelstrasse,
      sendet Herr Ärmel

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  2. Danke für den Hinweis auf die Kathedralen, von denen ich einige gut in Erinnerung habe und mir bei jeder viele Fragen im Kopf hatte. Vielleicht wird die eine oder andere nun beantwortet. Sie gehören zu meinem Erinnerungsschatz, fast immer auf der Gewinnseite.

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    • Gern geschehen. Ich kenne etliche der typischen gotischen Kathedralen. Über die im Film erwähnte in Abbaye de Fontenay habe ich hier im Blog bereits berichtet.
      Was mir in der Doku etwas zu kruz kam, waren die Zisterzienser, die ja die Impulsgeber zu diesem Baustil gewesen sind.
      Ich wünsche Ihnen neue Erkenntnisse durch diese Dokumentation.

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  3. „Das mir wertvolle an diesem Erlebnis ist die Erinnerung daran.“ Ihr Satz erinnert mich an meinen Entschluss, nicht mehr zu fotografieren. Der hatte natürlich zum einen mit der seit der Jahrtausendwende über uns hereingebrochenen digitalen Bilderflut, als auch mit meinem Beruf als Bildbearbeiter für Werbeagenturen etc. zu tun, also Übersättigung! Aber sicher auch mit der Überlegung, ob die durchs altern veränderten Bilder in meinem Kopf nicht wertvoller sind, als die unveränderlichen auf Papier? Die, in meinem Kopf idealisiere ich, Personen, Objekte, Farben sättige ich oder aus Farbe wird schwarz/weiß, verblassen oder verschwinden ganz… also kurz gesagt: „Gewinnverluste und Verlustgewinne“
    Vielen Dank, Herr Ärmel, für die Anregung zu Nachdenklichkeit! Bleiben se Mensch!

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    • Ich danke Ihnen sehr für Ihren Kommentar, der nun meine Erinnerungen weckt und mich nachdenklich macht.
      Nach meiner Fotografenausbildung habe ich mehrere Jahre nicht mehr fotografiert – wegen der Übersättigung. Ich habe alles vor mir befindliche in Negativformaten gesehen: 24×36, 6×4,5, 9×12…
      Interessant und anregend finde ich Ihre Überlegung wie sich Bilder in unserem Inneren verändern im Lauf der Zeit.
      Diesen Gedanken werde ich mir behalten und danke Ihnen für die Anregung.

      Lassen Sie es sich gutgehen!

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