Kommen und Gehen . . .

Horsche: Wurde bereits vorab als sein grandioses Alterswerk beschrieben: Bob Dylan – Rough and rowdy ways (2020).
Lesen: Wie verschiedene alte Kettenschaltungen eingestellt werden. Ihre jeweiligen Vor- und Nachteile.
Essen & Trinken: Salate, Kräuter und Wurzelgemüse aus dem Garten. Die letzten Spargeln.
Schaffe: Fahrräder zerlegen. Ein gefundenes Fahrrad ausschlachten (s.u.). Ein anderes angekauft (davon vielleicht später).
Gugge: Das ganz grosse Staunen im Garten. Wie es blüht, wächst und gedeiht. Und auch verzückte Blicke auf schöne alte Metallhandwerkskunst; Stahlrahmen fein gemufft.

 

Morgens lautete die Ansage: „Haste gesehen, drüben bei den Nachbarn steht ein Fahrrad. Offensichtlich wird das verschenkt.“ Ich schaute mir die Sache an. Und nahm die Sache mit.
Sollten wir den Nachbarn Bescheid sagen?
Vielleicht ein Glas Eingemachtes überreichen?
Ich sah den Zettel am Rad und beschloss, mich kundig zu machen. Es war einer jener Zettel, die jeder hin und wieder in seinem Briefkasten findet. Es wird darauf um Sachspenden gebeten. Kleidung und Schuhe steht in den grössten Lettern. Aber auch – und dann kommt alles mögliche, was auch gebraucht wird.
Wer braucht das?
Die Sammler, denn der Altkleidermarkt ist heiss umkämpft. Es geht um unglaubliche Profite, wenn man das Geschäft richtig aufzieht. Ich recherchiere nach der Firma, deren Adresse auf dem Zettel am Altfahrrad befestigt ist. Es gibt Listen, auf denen die Abzocker der Szene aufgelistet sind. Die auf dem Zettel angegebene Firma hat in Hessen Sammelverbot. Aber wer kümmert sich schon um derlei Kleinkram. Wir alle wollen doch gute Menschen sein.
In Tansania beispielsweise ist der einheimische Textilmarkt zusammengebrochen. Man schätzt, dass etwa 80.000 Menschen dadurch ihre Arbeit verloren haben. Und das aufgrund der Kleidersammelei und des daraus resultierenden Geschäftes mit Second-Hand-Läden und anderen Absatzkanälen.

Am späten Nachmittag durften wir einen lieben Bloggerkollegen mit seiner Liebsten begrüssen. Die Freunde verbringen hier in der Nähe ihren Urlaub. Wir hatten uns zum Abendessen mit hessischen Leckereien verabredet. Essen, trinken und miteinander sprechen und sich vertraut fühlen können. Dass der Mann just an diesem Tag seinen Geburtstag feierte, setzte dem Abend ein weiteres Glanzlicht auf.
Nach einer ausgiebigen Schmauserei und Plauderei fuhren wir zur Mainspitze. Einen Blick auf das vielberufene „goldene Mainz“ kann man nicht jeden Tag sehen. Und wer weiter entfernt lebt, für den ist es noch eindrucksvoller.
Die Sonne stand bereits tief als wir den Zusammenfluss von Main und Rhein erreichten. Es waren nur wenige Menschen da. Ein junger Mann legte Stöcke zurecht. Er schien ein kleines Floss bauen zu wollen. Eine junge Frau half im dabei. Nach und nach kamen noch drei andere junge Menschen zu den beiden. Sie brachten stärkere Stöcke mit und einen üppigen Strauss aus Feldblumen. Die kleine Gruppe werkelte konzentriert und war dabei ungewöhnlich ruhig. Eine der jungen Frauen setzte eine Kerze in ein Glas. Dieses Glas befestigte sie mit vier Kordeln an dem Floss.
Die Sonne sank tiefer und der Rhein wurde zunehmend golden vor der Silhouette der Mainzer Kirchtürme. Wir holten die Gläser aus dem Korb, öffneten eine Fasche Rotwein und stiessen auf das neue Lebensjahr des Freundes und diesen besonderen Abend an. Die abendliche Stimmung und die Farbverläufe am Himmel wurden beeindruckend.
Die Arbeit an dem vielleicht einen halben Meter langen Floss schien beendet. Die Kerze im Glas war entzündet und der lebendige Blumenstrauss lag der Länge nach daneben.
Die beiden Männer trugen das Floss und liessen es genau an der Mainspitze zu Wasser. Die Strudel zogen es in den Main. Da balancierte der Erbauer barfuss mit einem langen, starken Ast von Stein zu Stein. Er versuchte damit, das Floss in die Strömung des Rheins zu steuern.
Einer der Zuschauer dieses Ereignisses fragte ihn, was er da mache.
„Meine Frau ist gestorben“, sagte er ganz ruhig.
Endlich gelang es und das kleine Floss wurde vom grossen Strom aufgenommen. In der Stille schauen wir dem Floss nach. Jeder hängt in seinen Gedanken.
„Das habt ihr gut gemacht“. Ein Kompliment von uns.
„Der Tod war nicht einfach“, entgegnete der junge Mann, „da kann ich es mir hier auch nicht einfach machen.“

Später sassen wir noch bis nach Mitternacht bei uns Garten. Wir sprachen über dies und jenes. Dieses einmalige Erlebnis haben wir beschwiegen, um seine Würde zu bewahren.

 

Ich wünsche allen Besuchern, Lesern und Guggern eine erfreuliche Zeit – bleiben Sie wohlauf, egal, was man Ihnen auch zeigen oder erzählen mag.

Und hier die Auflösung der letzten Rätselfrage zum Transportrad. Es wurde nach drei mittlerweile zusätzlich verbauten Dingen gefragt. Und hier sind sie nun zu sehen:
1. Ventilkäppchen aus Metall mit Sicherungskettchen
2. Kleiderschutz, da es sich schliesslich um ein Transportrad mit einem Damenrahmen handelt.
3. Eine Klingel mit dem original Görickedeckel.

Und hier kommt gleich die nächste Frage: Welches wichtige Zubehör gehört nicht nur an ein Transportrad? Wir haben es inzwischen angebracht. Die Auflösung wird demnächst hier zu sehen sein.

Die Fotografien anklicken und gross gugge.

….

13 Gedanken zu „Kommen und Gehen . . .

  1. Die Mainspitze ist ein besonderer Ort, im rechten Licht vielleicht sogar magisch. Wie schön, dort auf den Geburtstag eines Freundes anzustoßen und wie bewegend und berührend, Zeuge eines besonderen Abschiednehmens sein zu dürfen.
    Danke für diese wirklich anrührende Schilderung eines außergewöhnlichen Abends.

    Herzlichst
    E. Ribbe

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  2. Sehr schön, dein Blick für Details. Ich hab neulich auch ein Fahrrad mitgenommen. War kein Zettel dran, aber es stand seit einem halben Jahr vor meiner Arbeit und rostete. Der Pförtner hat ein Auge zugedrückt. Als ich mich dann mit Drahtbürste und WD40 an das Schätzchen machte, fielen mir auch die Schönheiten auf. Auf den ersten Blick war es ein billiges Mifa-DDR-Fahrrad aus den 80ern mit viel Plaste und Elaste. Aber es waren viele Teile dran, die seit den 50ern unverändert blieben: Verchromter Kettenschutz, filigraner Gepäckträger und natürlich ein gemuffter Stahlrahmen. Ich habe zwei Tage wie besessen daran gearbeitet. Macht glücklich : -)

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    • Für mich ist das Fahrrad die gelungenste Maschine, die der Mensch erfunden und konstruiert hat.
      Der Höhepunkt der Entwicklung lag meiner Meinung nach in den 1950er/60er Jahren. Prima Materialien, haltbare Details und bei minimaler Pflege eine hervorragende Zuverlässigkeit.
      Mit den Mountainbikes begann der Weg zurück. Ausnahme waren die richtig guten. Die waren aber teuer und wurden entsprechend wenig ver- bzw. gekauft. Und heute mit den Elektrofahrrädern? Vollgepacktes Armaturenbrett für die Fahrt von Steckdose zu Steckdose. Und das alles bei einer Unhandlichkeit, die jeder Beschreibung spottet….

      Ja, die Arbeit an einem Fahrrad kann Freude und Spass gleichermassen bereiten.
      Ich schraube mir gerade aus einem über fünfzig Jahre alten Bauerrad einen Café-Racer zusammen – bigger boys need bigger toys 🙂

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  3. Niemals ist er einfach, der Tod. Es geht nämlich um das Sterben. Das Ende jeglichen Bestrebens, jedweder Wichtigkeit und Wertigkeit. Aus, vorbei, man gerät in den Bereich der eigenen Theorien, was denn dann kommt, wenn der Stecker dereinst gezogen wird. Ach du je, wie weit sinken all die diesseitigen Wertigkeiten ab in die absolute Bedeutungslosigkeit. Das Problem: Das ist nicht vermittelbar – es geht einfach nicht. Aber auch da muss man durch ….

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