Wenn die Perle schimmert

Horsche: Van der Graaf : The Quiet Zone – The Pleasure Dome (1977).
Lesen: Über die Funktionsweisen und Bauarten verschiedener Schaltungen bei Fahrrädern.
Essen & Trinken: Abwechslungsreich aus dem Garten. Eine gewisse Demut erweitert den eigenen Horizont, wenn einem klar wird, was es bedeutet, Gemüse und Kräuter aus dem eigenen Garten ernten zu dürfen. In der Erde wirken Kräfte und Energien zur Erhaltung unserer Lebensgrundlage.
Schaffe: Es gibt immer was zu tun.
Gugge: „Heimat“ von Edgar Reitz. Die erste Staffel. Und noch immer gibt es neues zu entdecken…

Am Ende kommt es oft auf das richtige Mass an. Im Garten zu viel anpflanzen oder lieber doch weniger. Bei den Nachbarn soll hinterm neuen Häuschen der Garten sogleich grünen und blühen. Rollrasen ist ein Marktschlager. Schneller kann man den brutal verdichteten Boden nicht hinrichten. Nichtmal mit der ganzen Agrochemie. Weil Rollrasenfelder bei der Herstellung Unmengen Wasser verbrauchen, sinkt der Grundwasserspiegel unaufhörlich. Bauern, die derbsten Artenvernichter und Boderzerstörer stellen grüne Kreuze auf ihre Felder. Demonstrieren dafür, weil sie rücksichtslos Gifte einsetzen wollen.
Gestern sahen wir eine kleine Bauerndemo. Blockieren mit Riesentraktoren volle Landstrassen. Wenn wir schon nicht die Erde vergiften dürfen, dann sollt Ihr wenigstens die Luft verpesten. So in etwa mag mancher Autofahrer angesichts der langen Autoschlange denken. Es scheint, dass bei vielen Landwirten jegliches vernünftige Mass abhanden gekommen ist. Und der Hofladen im vormaligen Kuhstall ist verkommen zu einem Gemüsekleinhandel aus der Grossmarkthalle.
Mir fällt dazu ein Zitat von Arno Schmidt ein: „Zehn Ochsen und ein Bauer sind zwölf Stück Rindvieh.“

 

Die wunderschöne La Perle ist fahrbereit. Über diese ehemalige kleine Fahrradmanufaktur finden sich im Netz bedauerlich wenige Informationen. Die Räder wurden ab etwa 1930 in der Rue du Pont de Créteil 33, Saint-Maur-des-Fossés hergestellt. In einem Vorort von Paris. Rennräder von La Perle erschienen ab 1935 bei französischen Strassenrennen. Der Schweizer Radfahrer Hugo Koblet gewann die Tour de France 1951 auf La Perle. Zu weiterer Berühmtheit verhalf der Marke der französische Rennfahrer Jacques Anquetil. Er gewann im Alter von neunzehn Jahren die französische Meisterschaft des Jahres 1953. Bereits 1955 meldete die kleine Manufaktur Konkurs an.
Wir hatten das heruntergekommene Fahrrad aus einer Scheune gekauft. Der Plan war, es wieder herzurichten. Und schon dabei stellen sich Fragen. In welcher Form sollte es fahrbereit gemacht werden. Von der schlichten Reinigung und einigen Tropfen Öl auf die beweglichen Teile bis zu einer originalgetreuen Restauration ist alles möglich. Es ist lediglich eine Kosten- und Zeitfrage. Auch in diesem Fall gilt die Aufmerksamkeit dem Mass. Darüber lässt sich trefflich debattieren.
Die Entscheidung fiel zugegunsten einer sachten Aufarbeitung aus. Konkret bedeutet das die Zerlegung und anschliessende Überholung der Lager, der Bremsen sowie der Erneuerung der Kette, sämtlicher Züge und Hüllen. Das Finden mancher Teile erforderte Geduld. Schwarz-weisse Reifen in 27,5 Zoll findet man nicht an jeder Ecke. Viele Schrauben haben Spezialgewinde und sind nicht einfach austauschbar. Das wäre dem Rad nicht angemessen.
Die erste Probefahrt verlief zufriedenstellend. Dieses Velo ist siebzig Jahre alt. Es wurde wurde nach unseren Recherchen um 1950 gebaut. Es ist erstaunlich leicht und handlich. Und entsprechend flott unterwegs. Die Bremsen beissen fest zu. Lediglich der originale New Watson Nr.4 Dynamo fehlt noch zur Komplettierung. Doch das mindert den Fahrspass keineswegs.

 

Über das derzeitige Thema Nummer eins diskutiere ich nicht mehr. Ich bin weder Virologe noch Epidemiologe. Ich verfüge allenfalls über Informationen aus dritter Hand. Mittlerweile scheint mir in dieser Frage ohnehin jedes vernünftige Mass abhanden gekommen zu sein. Jeder versucht sein eigenes Süppchen zu kochen. Befürworter, Leugner, Rechtsradikale – ein ganzes Heer von Ahnungslosen ist in den verschiedenen Medien unterwegs, die nicht mehr Herr (oder Frau) ihrer eigenen Gefühlswelt sind. Am Ende läufts ohnehin auf den eigenen Egoismus hinaus.

 

Bei der Wanderung auf dem Rheinsteig (Etappe acht von St. Goarshausen nach Wellmich) grüssen wir die Entgegenkommenden und werden gegrüsst. Es geht also noch. Auch ein Lächeln erhellt dabei die Welt. Als wir durch einen kleinen Ort kommen, lesen wir die sinnige Aufforderung auf dem Schild an einem Garagentor: „Freiheit aushalten“.

 

Ich wünsche allen Besuchern, Lesern und Guggern viel Schönheit im Alltag. Lassen Sie sich nicht verrückt machen – von niemandem und bleiben Sie wohlauf.

 

(Foto anklicken öffnet die Galerie)

 

 

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36 Gedanken zu „Wenn die Perle schimmert

  1. Man liest Beiträge ja immer mit eigenen Gedanken im Hintergrund und so dachte ich mir gerade „Jawohl, ganz genau, an manchen Debatten von selbsternannten Experten sollte man einfach nicht teilnehmen. “
    Und von Rädern und gar von deren Reparatur verstehe ich immer noch nichts 😉

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  2. Hallo Herr Ärmel,
    La Perle ist zum Verlieben wunderbar. Ein filigranes Meisterstück der Radbaukunst, mehr als ein reines Fortbewegungsmittel besticht sie en detail…wie im handgehämmerten Metall des Vorderlichts und das Celestetürkis ist eine ätherische Rahmendarbe. Sie suggeriert, dass La Perle fliegt, selbst wenn sie noch steht. Was für ein Wunderwerk! Und Pardon, ich schwärme hier über die fabelhafte Arbeit an der Fahrradschönheit, hörte im Geist die hochgeschätzte Van-der-Graaf-Scheibe und nickte ansonsten zu vielem, das Sie thematisch ansprachen. Leider kenne ich von Deutschland bislang nur wenig, doch ich liebe selbst geerntetes Gemüse und hege den elterlichen Garten als sei es meiner.
    Es würde mich freuen vom ersten Ausflug mit La Perle zu lesen.
    Es entsendet Ihnen mit freundlichem Lesedank liebe südliche Grüße aus dem heideblühenden Teuto,
    Amélie Hauser

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    • Hallo Frau Karfunkelfee, ich danke Ihnen für Ihren freundlichen Kommentar.
      Ihre Freude zu weiteren Berichten kann ich gut nachvollziehen. Es liegt jedoch nicht an mir, da für mich der Rahmen dieses Rades zu klein ist.

      Ich sende Spätsommergrüsse aus dem südlichen Bembelland, Herr Ärmel

      Gefällt 1 Person

    • Ich danke Ihnen für den Link. Gleichwohl kannte ich den bereits, denn Tontonvelo ist ein prima Portal für französische Fahrräder.

      Vielleicht findet sich in Ihrer Gegend ja ein entprechendes Herrenrad. Die Fahrt wäre mir nicht zu weit dafür.

      Wer liest heute noch Frisch. Oder Brecht. Oder…?

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  3. Die Perle schimmert .. und aus der Zweilichterzone grüßt Jacques Tati. Sie und die Mitstreiter*innen in den Kommentaren bereiten Freude, Herr Ärmel! Einen (fast) nachbarschaftlichen Gruß á la rechte Rheinseite vom nicht allzu fernen Neckar sendet: TC

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    • Herzlich willkommen und schönen Dank für Ihren freundlichen Kommentar.

      Das ist der Sinn! Und nicht bloss in diesen Zeiten: die Freude. Lebensfreude. Nicht käuflich, nicht materiell. Sondern von innen entstehend.

      Einen schönen nachbarschaftlichen Gruss von der rechten Rheinseite nach weiter südlich sende ich Ihnen,
      Herr Ärmel

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