Ansichtssachen (XVII)

Das Gespräch im hesisschen Dialekt wird im folgenden transkribiert wiedergegeben.

Hallo?
Ich bins. Habt Ihr wieder Süsse?
Klar, wieviel braucht Ihr denn?
Wieviel habt Ihr denn?
Genug. Bring´ aber einen Kanister mit. Wegen den neuen Bestimmungen haben wir keine mehr. Ist viel zu teuer.
Alles klar, ich komme gleich vorbei.

 

 

Und, wie lange wird der halten?
Drei Tage. Dann hast Du Rauscher. Stell´ ihn halt kühl, dann hält er vier, vielleicht sogar fünf Tage.

 

Rauscher???

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kommen und Gehen . . .

Horsche: Wurde bereits vorab als sein grandioses Alterswerk beschrieben: Bob Dylan – Rough and rowdy ways (2020).
Lesen: Wie verschiedene alte Kettenschaltungen eingestellt werden. Ihre jeweiligen Vor- und Nachteile.
Essen & Trinken: Salate, Kräuter und Wurzelgemüse aus dem Garten. Die letzten Spargeln.
Schaffe: Fahrräder zerlegen. Ein gefundenes Fahrrad ausschlachten (s.u.). Ein anderes angekauft (davon vielleicht später).
Gugge: Das ganz grosse Staunen im Garten. Wie es blüht, wächst und gedeiht. Und auch verzückte Blicke auf schöne alte Metallhandwerkskunst; Stahlrahmen fein gemufft.

 

Morgens lautete die Ansage: „Haste gesehen, drüben bei den Nachbarn steht ein Fahrrad. Offensichtlich wird das verschenkt.“ Ich schaute mir die Sache an. Und nahm die Sache mit.
Sollten wir den Nachbarn Bescheid sagen?
Vielleicht ein Glas Eingemachtes überreichen?
Ich sah den Zettel am Rad und beschloss, mich kundig zu machen. Es war einer jener Zettel, die jeder hin und wieder in seinem Briefkasten findet. Es wird darauf um Sachspenden gebeten. Kleidung und Schuhe steht in den grössten Lettern. Aber auch – und dann kommt alles mögliche, was auch gebraucht wird.
Wer braucht das?
Die Sammler, denn der Altkleidermarkt ist heiss umkämpft. Es geht um unglaubliche Profite, wenn man das Geschäft richtig aufzieht. Ich recherchiere nach der Firma, deren Adresse auf dem Zettel am Altfahrrad befestigt ist. Es gibt Listen, auf denen die Abzocker der Szene aufgelistet sind. Die auf dem Zettel angegebene Firma hat in Hessen Sammelverbot. Aber wer kümmert sich schon um derlei Kleinkram. Wir alle wollen doch gute Menschen sein.
In Tansania beispielsweise ist der einheimische Textilmarkt zusammengebrochen. Man schätzt, dass etwa 80.000 Menschen dadurch ihre Arbeit verloren haben. Und das aufgrund der Kleidersammelei und des daraus resultierenden Geschäftes mit Second-Hand-Läden und anderen Absatzkanälen.

Am späten Nachmittag durften wir einen lieben Bloggerkollegen mit seiner Liebsten begrüssen. Die Freunde verbringen hier in der Nähe ihren Urlaub. Wir hatten uns zum Abendessen mit hessischen Leckereien verabredet. Essen, trinken und miteinander sprechen und sich vertraut fühlen können. Dass der Mann just an diesem Tag seinen Geburtstag feierte, setzte dem Abend ein weiteres Glanzlicht auf.
Nach einer ausgiebigen Schmauserei und Plauderei fuhren wir zur Mainspitze. Einen Blick auf das vielberufene „goldene Mainz“ kann man nicht jeden Tag sehen. Und wer weiter entfernt lebt, für den ist es noch eindrucksvoller.
Die Sonne stand bereits tief als wir den Zusammenfluss von Main und Rhein erreichten. Es waren nur wenige Menschen da. Ein junger Mann legte Stöcke zurecht. Er schien ein kleines Floss bauen zu wollen. Eine junge Frau half im dabei. Nach und nach kamen noch drei andere junge Menschen zu den beiden. Sie brachten stärkere Stöcke mit und einen üppigen Strauss aus Feldblumen. Die kleine Gruppe werkelte konzentriert und war dabei ungewöhnlich ruhig. Eine der jungen Frauen setzte eine Kerze in ein Glas. Dieses Glas befestigte sie mit vier Kordeln an dem Floss.
Die Sonne sank tiefer und der Rhein wurde zunehmend golden vor der Silhouette der Mainzer Kirchtürme. Wir holten die Gläser aus dem Korb, öffneten eine Fasche Rotwein und stiessen auf das neue Lebensjahr des Freundes und diesen besonderen Abend an. Die abendliche Stimmung und die Farbverläufe am Himmel wurden beeindruckend.
Die Arbeit an dem vielleicht einen halben Meter langen Floss schien beendet. Die Kerze im Glas war entzündet und der lebendige Blumenstrauss lag der Länge nach daneben.
Die beiden Männer trugen das Floss und liessen es genau an der Mainspitze zu Wasser. Die Strudel zogen es in den Main. Da balancierte der Erbauer barfuss mit einem langen, starken Ast von Stein zu Stein. Er versuchte damit, das Floss in die Strömung des Rheins zu steuern.
Einer der Zuschauer dieses Ereignisses fragte ihn, was er da mache.
„Meine Frau ist gestorben“, sagte er ganz ruhig.
Endlich gelang es und das kleine Floss wurde vom grossen Strom aufgenommen. In der Stille schauen wir dem Floss nach. Jeder hängt in seinen Gedanken.
„Das habt ihr gut gemacht“. Ein Kompliment von uns.
„Der Tod war nicht einfach“, entgegnete der junge Mann, „da kann ich es mir hier auch nicht einfach machen.“

Später sassen wir noch bis nach Mitternacht bei uns Garten. Wir sprachen über dies und jenes. Dieses einmalige Erlebnis haben wir beschwiegen, um seine Würde zu bewahren.

 

Ich wünsche allen Besuchern, Lesern und Guggern eine erfreuliche Zeit – bleiben Sie wohlauf, egal, was man Ihnen auch zeigen oder erzählen mag.

Und hier die Auflösung der letzten Rätselfrage zum Transportrad. Es wurde nach drei mittlerweile zusätzlich verbauten Dingen gefragt. Und hier sind sie nun zu sehen:
1. Ventilkäppchen aus Metall mit Sicherungskettchen
2. Kleiderschutz, da es sich schliesslich um ein Transportrad mit einem Damenrahmen handelt.
3. Eine Klingel mit dem original Görickedeckel.

Und hier kommt gleich die nächste Frage: Welches wichtige Zubehör gehört nicht nur an ein Transportrad? Wir haben es inzwischen angebracht. Die Auflösung wird demnächst hier zu sehen sein.

Die Fotografien anklicken und gross gugge.

….

Reduktion ist manchmal nicht möglich

„Modern day structures are fantastic
But have you seen a butterfly’s wings?
Man has created symphonies
But have you heard a blackbird sing?“ (Eric Burdon and the Animals, No Self Pity)
Die einzigartigen Geräusche der Natur kann keine Musik ersetzen. Wellenschlag, Möwenschrei und Böen, die sich an Strassenecken festbeissen…

Das Leben eines Menschen aufzeichnen. Aus den vorhandenen Materialien einen Text schreiben. Wie man dem auf diese Weise gewürdigten Menschen gerecht werden kann. Den Facetten seiner vielgestaltigen Persönlichkeit. Ein Lebensweg, der zwar stets nach vorn, in die Zukunft gerichtet, verläuft oder verlaufen ist; dessen Verlauf jedoch gekennzeichnet ist von vielfältigen Verästelungen. Es stellt sich die Frage, ob die Fülle im Entwicklungsmosaik überhaupt angemessen darstellbar ist. Einen Sommermorgen exakt zu beschreiben, befand ein Herr von Kügelgen seinerzeit, brauche ein halbes Leben. Aber das ist eine andere Sache.

Einige Tage ausspannen und dennoch nicht einfach abhängen. Die Wahl fiel auf die einmalige Hansestadt Stralsund. Betonung auf der ersten Silbe. Besichtigungen und Spaziergänge. Steife Brisen und Sonnenschein satt. Fischgerichte in allen Variationen begleitet von hervorragenden Bieren einer lokalen Braumanufaktur.

Stralsund gegenüber auf der Insel Rügen liegt der kleine Ort Altefähr. Das stets zuverlässige Meyers Reisebuch (Deutsche Ostseeküste II. Rügen und die pommersche Küste, Bibliographisches Institut, 2. Auflage, 1924) weist auf den grossartigen Blick hin, den man von hier aus auf die Silhouette von Stralsund geniessen kann.

Auf der kleinen, erhöht gebauten Kirche fällt der Grabstein ins Auge, den man einer jungen Frau zur Erinnerung hier aufgestellt hat. Sie war Ober-Stewardess einer Luftfahrtgesellschaft der BRD und wurde auf dem Boden der DDR beerdigt. Im Jahr 1959. Das kann FRagen aufwerfen.
Am 11. Januar 1959 befand sich die viermotorige Propellermaschine vom Typ Lockheed L-1049 G Super Constellation (D-ALAK) auf dem Flug (LH-502) von Hamburg nach Buenos Aires. Zwischenstopps waren in Frankfurt, Paris, Lissabon, Dakar und Rio de Janeiro. Beim Landeanflug auf den Galeão International Airport in Rio de Janeiro verunglückte das Flugzeug durch extrem schlechte Sichtverhältnisse und aufgrund fehlender Leitstrahlsendern beziehungsweise Funkfeuern seitens des Flughafens. Vom Kontrollturm des Flughafens aus wurde der Flugkapitän angewiesen „auf Sicht“ zu fliegen. So nahm das Unglück seinen Lauf.
„Das Fahrgestell berührte das Wasser und wurde abgerissen; die Maschine taumelte aufwärts – als versuche der Pilot, sie noch einmal hochzureißen – und sackte dann aus geringer Höhe wie ein Stein in das schlammige Ufergelände der Bucht. Das ausströmende Benzin entzündete sich; 36 Menschen starben, nur drei Angehörige des Bordpersonals konnten von den Rettungsmannschaften in Sicherheit gebracht werden.“ (Der Spiegel, 4/1959, S.18).

In Stralsund habe ich gelernt, dass es nicht bloss Stolpersteine sondern auch Stolperschwellen gibt. Am Hauptbahnhof wird der 1160 Menschen gedacht, die infolge ihrer seelischen Erkrankungen von hier abtransportiert wurden und bei der Aktion T4 ermordet worden sind. Eine andere Stolperschwelle befindet sich auf dem Boden vor dem städtische Krankenhaus Dort wird an 652 Menschen erinnert, die zwischen 1934–1939 in der chirurgisch-gynäkologischen Abteilung zwangssterilisiert worden sind.

Ich wünsche allen Besuchern, Lesern und Guggern eine erfreuliche Zeit.

 

 

 

 

Dienstags? Als weiter… was will merr mache…

Die Gründe sind verschieden. Hier laufen die alten Scheiben, mit denen ich als junger Bursche meine Plattensammlung angefangen habe. Heute erklingen hauptsächlich die Werke von Family und Colosseum…

Nichts los auf dem Markt. Es ist bereits halbneun. Schon klar, die Kauftempel öffnen erst um zehn Uhr. Davor hat man seine Ruhe in der Stadt und findet ohne weiteres einen Parkplatz.

Wir haben unsere Siebensachen rasch zusammen. Aber die Zwetschen.
Ob ich vielleicht nicht doch mal… Pflaumenblau trifft Grünauge.
Die sehen genau richtig aus. Soll ich oder soll ich?

Zwei Kilo, bitte.
In der Sommerküche steht der uralte gusseiserne Bräter (von Märklin Göppingen) auf dem kleinen Gasherd. Für zwei Kilo Zwetschen, die hier herum Quetsche genannt werden, sind hundert Gramm Zucker ausreichend. Und eine Prise frisches Zimtpulver sorgt für den Pfiff im Aroma.
Drei Stunden langsam einköcheln lassen und gelegentlich umrühren. Dann ist er fertig, der Latwersch oder die Latweje. So wird im südhessischen Ried das fast schwarze Pflaumenmus genannt.

Als Begleitmusik dazu passt dieses herzige Heimatlied.

Es ist zu einer lieben Gewohnheit geworden. Dienstags treffen wir uns in der Äppelweinbeiz. Der Wirt sieht seinem 88. Geburtstag entgegen. Und die Gäste befürchten danach das Ende einer der letzten wirklich typischen Apfelweinwirtschaften. Bereits in der letzten Woche waren die Fensterläden heruntergelassen. Am Laden der Eingangstür hing ein Papierstreifen. Vorübergehend geschlossen. Wie lange dauert vorübergehend? In der Beiz gegenüber trafen wir einige Stammkunden. Ahnungslosigkeit. Spekulationen.
Gestern hing dieser vermaledeite Schrieb noch immer
am runtergelassenen Fensterladen. Wir also gegenüber eingekehrt. Im Eichkatzerl die üblichen Stammgäste von gegenüber angetroffen. Mit denen wir „immer“ einen Tisch teilen. Die haben auch keine Ahnung. Nach zwei Schoppen und einem kleinen Gebabbel sind wir weitergezogen. Im Dax andere Stammgäste getroffen.
Was gibts Neues?
Nix neues. Prost!

Wir werden an den kommenden Dienstagen den gleichen Weg einschlagen. Wir hoffen auf hochgezogene Rollläden. Notfalls gibts in der näheren Umgebung noch andere Lokalitäten. Nicht unbedingt solche, an denen wir gestern das Schauspiel mitverfolgten, wie drei Busladungen chinesische Touristen durch eine Toreinfahrt in den offenen Hof einer Gastwirtschaft eingesaugt worden sind. Viele alte Wirtschaften mit dem ursprünglichen Flair gibts nicht mehr. Und Wirte, die noch selbst keltern, kann man bald an einer Hand abzählen.

Was wollte ich noch schreiben?

Ach ja, die im Bräter eingekochten zwei Kilo Zwetschen ergaben je ein grosses und ein kleines Glas schwarzer Latwersch. Die Bäurin am Rande des alten Ortskerns meinte ganz lapidar, unter zwanzig Kilo würde sie erst garnicht anfangen.

Ich wünsche allen Besuchern, Lesern und Guggern erfreuliche Spätsommertage.

(Ein Bembel im Dax in Sachsenhausen)